Gedanken einer „relationship virgin“

Als ich in der zehnten Klasse war, schloss ich eine Wette mit meiner damaligen Banknachbarin ab: Diejenige von uns beiden, die als erste eine Beziehung haben würde, müsste der anderen eine Flasche Malibu ausgeben. Bisher waren wir nämlich beide unser komplettes Leben lang single gewesen. Es kann sich nur um Monate, vielleicht ungefähr ein halbes Jahr, gehandelt haben, bis meine Banknachbarin sich in einen ihrer Nebenjob-Kollegen verliebte, er sich auch in sie und die beiden bald darauf ein Paar wurden. Ich weiß nicht, ob ich besagten Wetteinsatz je bekommen habe. Falls nicht, könnte ich heute auch gut darauf verzichten. Malibu trinke ich nicht mehr – in einer Beziehung war ich immer noch nicht.


Setzt man sich nun, beispielsweise für einen Blogbeitrag, mal etwas genauer mit dem eigenen oder dem allgemeinen Single-Dasein auseinander, hat Google wie immer einige interessante Denkanstöße zu bieten: „Kann man als ewiger Single glücklich sein?“ – „10 beste Dating-Apps in 2023! Gratis! Keine Abo-Pflicht!“ – „Wie lange ist es normal, single zu sein?“ – „Phänomen Dauersingle – Warum finde ich keinen Partner?“. 

Dazwischen finden sich auch Webseiten, die drei, sieben oder sogar 36 Gründe anbieten, „warum du lieber Single sein solltest“ – aber der grundlegende Tenor ist dann doch eher pro Beziehung. Ich habe zumindest keinen Beitrag mit der Überschrift „Phänomen Dauerbeziehung – Warum habe ich ständig einen Partner?“ entdeckt.

Dabei bin ich eine große Advokatin dafür, dass sich manche Personen das tatsächlich mal fragen sollten. Als eine meiner engsten Freundinnen vergangenes Jahr aus einer mehrjährigen Beziehung kam, habe ich ihr semi-ernsthaft verordnet, nun erstmal mindestens zwei Jahre single bleiben zu müssen. Und das wirklich nicht (nur), weil ich mich immer über Single-Freund:innen freue, sondern weil ich es krass wichtig fand, dass sie sich außerhalb der Beziehung wirklich selbst kennenlernt. Außerdem weiß ich, wie schön es ist, single zu sein, wie frei und unabhängig und egoistisch man sein kann.

„Wen rufe ich denn jetzt an, wenn es mir schlecht geht?“

Irgendwann stellte sie mir die Frage: „Wen ruf ich denn jetzt an, wenn es mir mal wirklich schlecht geht?“ Erst verstand ich das Problem nicht ganz. Wieso denn jemanden anrufen? Für mich ist es selbstverständlich, dass ich es fast immer mit mir selbst ausmache, wenn es mir nicht gut geht. Dann packe ich mein Tagebuch oder meine Gitarre aus, mache einen ausgiebigen Spaziergang oder verziehe mich mit Ben & Jerry’s und einer Netflix-Serie in mein Bett. Ich verabrede mich mit Freund:innen auf einen Tee oder – wenn ich in einer weniger gesunden Phase bin – auf einen Aperol. Ganz viele coping mechanisms, bei denen keiner von einer einzigen bestimmten Person abhängt. Ich liebe diese Gewissheit, mich auf mich selbst verlassen zu können und keinen romantischen Partner in irgendeiner Situation meines Lebens zu brauchen.

Jetzt fühlt es sich fast an, als würde ich hier den nächsten „X Gründe, warum du lieber single sein solltest“-Beitrag schreiben. Dabei geht es mir absolut nicht darum. Ich glaube aber, dass der Pro-Beziehung-Google-Tenor noch stark in unserer Gesellschaft verankert ist. Als “relationship virgin” (Danke für den Begriff, Google!) fühle ich das besonders häufig.

Bumble-Dates mit Erfahrungsdiskrepanzen

Vor kurzem ist mir das zum Beispiel auf einem Bumble-Date klar geworden. Wir treffen uns im Kölner Grüngürtel, spazieren ein bisschen durch den Park und weil sich der Vibe ganz gut anfühlt, versacken wir später in einer Bar. Nach den ersten beiden Gläsern Rotwein kommt das Thema Beziehungsmodelle auf und er fragt mich, wie ich denn so zur Monogamie und zu offenen Beziehungen stehe. Ich merke selbst, wie ich mich bei dieser Frage anspanne und ein bisschen aufrechter hinsetze. „Naja also, ich hatte noch nie eine Beziehung.“ Ich bemühe mich extra, den Augenkontakt zu meinem Gesprächspartner zu halten, während ich das sage. Er soll merken, dass mir mein „relationship virgin“-Zustand nicht unangenehm ist. Ist er ja wirklich nicht.

Trotzdem fühlt es sich mittlerweile anders an, darüber zu sprechen, als noch vor sieben, fünf oder nur drei Jahren. Die Aussage bleibt immer die gleiche, das begleitende Gefühl irgendwie nicht mehr. Mitte zwanzig ist es dann doch außergewöhnlicher, noch nie in einer Beziehung gewesen zu sein, als das in den Teenager-Jahren der Fall war. Zumindest gibt es in meinem Umfeld kaum mehr gleichaltrige Personen, die mein “Schicksal” teilen. Als mir mein Bumble-Date dann irgendwann nach dem nächsten Glas Wein von seinen fünf gescheiterten Beziehungen erzählt, bin ich froh, dass ich diese Erfahrungsdiskrepanz zumindest teilweise auf den Altersunterschied zwischen uns beiden schieben kann.

Verheiratete leben länger

Seitdem beschäftigt es mich aber, dass selbst mir, obwohl ich wirklich gerne single bin und kein akutes Bedürfnis habe, das zu ändern, mein Dauersingle-Zustand irgendwie unangenehm zu sein scheint. Auch wenn unsere Gesellschaft immer offener wird und unterschiedlichste Beziehungsmodelle zu akzeptieren beginnt, fühle ich immer noch eine Art Druck. Den gesellschaftlichen Druck, der in so vielen Lebensbereichen auf unsere Generation ausgeübt wird, der auch vor so etwas Privatem wie dem Beziehungsstatus kaum Halt macht und den ich wohl auch internalisiert habe.

Ich bin mir sicher, dass auch Paare diesen gesellschaftlichen Druck fühlen. Dann vielleicht eher in Richtung “Wann zieht ihr endlich zusammen?” oder “Wie sieht es bei euch mit Kindern aus?”. Darauf könnten wir wahrscheinlich alle verzichten. Wobei – in dem Single-Fall meint es die Gesellschaft vielleicht auch nur gut mit uns: Eine Beziehung würde unsere Lebenserwartung schließlich deutlich steigern.


Von Lena (24): Lena ist kein nachtragender Mensch. Aber über die Unkreativität ihrer Eltern bei der Namensgebung ist sie immer noch nicht ganz hinweg. Als hätte unsere Generation nicht schon genug damit zu tun, sich ständig abzuheben, muss Lena sich auch noch im Meer der Lenas behaupten. Sie fasziniert die Menschen um sich herum als Zuhörerin und Freundin. Als wissbegieriges Kind und seriöse WDRlerin. Als aufmerksame Beobachterin und politisch interessierte Journalistin.

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