Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Ein Satz, den ich lange für eine ausgelutschte Erwachsenen-Phrase gehalten habe. Dass so manche Lebensweisheit mehr mit der Realität zu tun hat als das Latte Macchiato-Wand-Tattoo von Moni, ist mir irgendwie in den letzten Monaten besonders aufgefallen. Deswegen habe ich mal ein bisschen in mich reingehört, um herauszufinden, ob die Uhr da wirklich plötzlich schneller tickt.
Es ist Sonntagabend. Ich sitze Alman-mäßig mit meiner WG vor dem viel zu kleinen Fernseher und ziehe mir den Kölner Tatort rein, während ich mit einer Gehirnhälfte schon im Bett liege. Wie kann eigentlich schon wieder Sonntag sein, schweift meine andere Gehirnhälfte von dem Meisterwerk deutscher Filmgeschichte ab – und ehe ich mich versehe, klingelt der Wecker morgens um 7 Uhr. Gefühlt einen Augenaufschlag später bimmeln die Kirchenglocken zum Weihnachtsgottesdienst und ich stehe mit einer Wunderkerze in der einen und einem Sekt in der anderen Hand auf der Straße und betrachte das Silvester-Feuerwerk. Jetzt bin ich schon wieder ein Jahr älter. Es ist Karneval, ich bin als Giraffe verkleidet und am Sonntag läuft schon wieder der Kölner Tatort im Fernsehen.
Ein matschiger Brei aus Wochenenden
Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Ein Satz, den man klassischerweise von Menschen jenseits der 40 hört. Und lange Zeit habe ich auch nicht so richtig verstanden, was meine Eltern damit gemeint haben, wenn sie davon gesprochen haben, wie das Leben Jahr für Jahr immer mehr an Fahrt aufnimmt. Aber gerade in den letzten Monaten beschleicht mich das Gefühl, dass die Jahreszeiten immer enger zusammenrücken. Dass ein Wochenende auf das nächste folgt und die Monate sich irgendwie zu einem matschigen Brei vermischen, dessen Bestandteile man nur noch schwer auseinanderziehen kann. Neulich – nach diesem besagten Tatort-Event – ist mir bei dem Gedanken so richtig schummrig geworden und es ist eine kleine Panik in mir aufgestiegen: Fuck, dein Leben ist bald vorbei.

Warum fühlt sich das Leben plötzlich wie ein Schneeball an, den ich ein bisschen zu fest in meinen Händen halte und der langsam, aber sicher zu zerlaufen beginnt? Früher habe ich Schneeballschlachten geliebt – und keinen Gedanken an Schneematsch in meinen Händen verschwendet. Da lag zwischen Silvester und Ostern eine halbe Ewigkeit und der Winter kam mir oft so lang vor, dass ich das Gefühl hatte, in einer Eiszeit festzustecken.
Maximale Effizienz in maximal wenig Zeit
Natürlich vergeht die Zeit nicht wirklich schneller. Dafür steigt von Jahr zu Jahr die Bedeutung, die ich ihr beimesse. Das ergibt bis zu einem gewissen Grad auch Sinn: Immerhin nähere ich mich mit jeder Sekunde, die ich mich von meiner Geburt entferne, meinem Tod. Und je älter ich werde, desto mehr werde ich mir meiner Endlichkeit bewusst.
Ich messe der Zeit aber auch deswegen mehr Bedeutung bei, weil mir von meiner Umwelt jeden Tag suggeriert wird, dass nur effizient genutzte Zeit auch gute Zeit ist. Immerhin ist Zeit doch Geld. Je älter ich werde, desto effizienter habe ich zu arbeiten, zu leben, zu sein. Die Devise heißt: möglichst viele Aufgaben in möglichst wenig Zeit erledigen und dabei bitte noch Sport machen, den Haushalt schmeißen sowie Freundschaften und ein Liebesleben regeln. Dabei sind beinahe alle grundlegenden Dinge in meinem Alltag darauf ausgerichtet, schnell von statten zu gehen, damit ich noch mehr Zeit für das Abhaken von To-Do-Listen habe: Der Wasserkocher bringt das Wasser in nur 3 Minuten zum Kochen. Diese Pfanne wird in 30 Sekunden heiß. Die Waschmaschine reinigt die Wäsche in nur 50 Minuten.
Nach welchen Standards messen wir eigentlich Effizienz? Und wer hat sich das bitte ausgedacht?
Immer seltener lebe ich wirklich im Moment, ohne darüber nachzudenken, wie viel Zeit schon vergangen ist oder wann ich endlich Feierabend machen kann. Wann habe ich mich das letzte Mal mit einer Freundin getroffen, ohne zwischendurch auf die Uhr zu schauen, wann ich die nächste Bahn nach Hause nehmen muss? Wann habe ich das letzte Mal abends ein Buch gelesen, ohne es nach 30 Minuten zuzuklappen, weil ich jetzt wirklich dringend schlafen muss?
Zeitlose Kindheit
Deswegen habe ich mir vorgenommen, öfter ein bisschen mehr Kind zu sein und mich manchmal frei zu machen von zeitraubendem Leistungsdruck. Denn die Zeit ist zu knapp, um so schnell zu vergehen.
Als Kind konnte ich mich wirklich gut in der Zeit verlieren. Da habe ich manchmal stundenlang auf meinem Teppich gesessen, auf irgendwelche Seiten gekritzelt und dabei der Stimme von Rufus Beck gelauscht. Im Sommer habe ich an den Wochenenden ewig lang draußen gespielt und wurde erst von der anbrechenden Dunkelheit an das sich nähernde Ende des Tages erinnert. Im Sommerurlaub habe ich jeden Moment ausgekostet, den ich mit meinen Eltern draußen am Campingtisch sitzen durfte, bis mir die Augen vor Erschöpfung einfach zugefallen sind. Das Verstreichen von Zeit hat irgendwie einfach keine Rolle gespielt – und sie ist gerade deswegen oft stillgestanden.

Von Alex (26): Alex schreibt am liebsten über Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse, nachdem sie ihre eigenen Gossip Girl-Romane hinter sich gelassen hat. Sie hat es drauf, so zu schreiben, dass man sich abgeholt fühlt und relatet, obwohl man vorher vielleicht nicht wusste, dass man das gefühlt hat; geschweige denn, wie man es hätte ausdrücken sollen. Mit ihrer ansteckenden guten Laune ist sie ein richtiger Herzensmensch, der fantastische Rotwein-Spaghetti zaubern kann.