Trübe Denk-Suppen 

“Overthinking kills your happiness” – ein Spruch, der bestimmt in vielen Vorstadthäusern die Wohnzimmerwände ziert. Oder den WhatsApp-Status von einer entfernten Cousine. Doch so cheesy dieser Spruch ist – so wahr ist er leider auch. Zu viel Nachdenken macht einfach unglücklich. Und ich kann ein Lied davon singen. 


Das Bedürfnis, alles genauestens zu durchleuchten, jede noch so kleine Gefahr aufzuspüren und dafür gewappnet zu sein. Sich alle möglichen Szenarien auszumalen und zu überlegen, was passieren würde, wenn das Worst-Case-Szenario dann wirklich eintrifft. Oder auch der Hang dazu, Situationen, die längst vergangen sind, immer wieder zu überdenken und das eigene Verhalten dabei zu analysieren. Sich Fehler, die man irgendwann mal gemacht hat, immer wieder vor Augen zu führen und davon nicht loszukommen: All das sind typische Muster des Overthinkings. 

Ich könnte diesen Text jetzt wirklich vollhauen mit Situationen und Dingen, über die ich mir bereits zu viele Gedanken gemacht habe. Die mich so krass runtergezogen haben, dass ich teilweise tagelang an nichts anderes mehr denken konnte. Die aber, sobald ich mich nicht mehr mit ihnen beschäftigt habe, plötzlich überhaupt nicht mehr schlimm waren. Und die mich trotzdem viel zu viel Energie und Happiness gekostet haben.

Passen sie jetzt oder nicht? 

Da waren zum Beispiel mal Schuhe, die ich mir bestellt habe, gebraucht auf Vinted, auf die ich mich enorm gefreut habe. Ich habe sie angezogen, fand sie einfach nur Hammer und bin direkt damit aus dem Haus gegangen. Doch nach einem Tag ist mir plötzlich aufgefallen, dass diese wunderbaren Schuhe ein bisschen locker sitzen. Dass meine Ferse beim Gehen immer ein bisschen herausrutscht. Der ein oder die andere würde jetzt wahrscheinlich einmal kurz rational überlegen: Passen mir die Schuhe wirklich oder nicht? Wenn sie nicht passen, dann muss ich sie eben wieder verkaufen. 

Ich aber nicht. 

Tagelang, jedes Mal, wenn ich diese Schuhe angezogen habe, habe ich bei jedem Schritt eine gedankliche Lupe auf diese Schuhe gerichtet: “Rutsche ich jetzt hinten raus?”, “Brauche ich aber nicht trotzdem den Platz an meinen Zehen?” “Sehen die Schuhe auch für andere zu groß aus?”. Das ging dann so weit, dass ich die Schuhlänge mit den Schuhlängen meiner anderen Schuhe verglichen habe. Dass ich auch bei anderen Leuten nur noch auf die Schuhe schauen konnte (“Aha, der hier rutscht nicht hinten raus”) und sogar gegoogelt habe, wie man feststellen kann, ob Schuhe passen oder eben nicht. Ein Punkt, der mich auch sehr gestört hat, war das Geld, das ich für diese Schuhe ausgegeben habe und das ich nicht so schnell wieder bekommen würde. Und dass ich die Schuhe ja eigentlich GELIEBT habe. Ich konnte wirklich über nichts anderes mehr nachdenken – ja, es klingt echt witzig, aber es war auch leider irgendwie belastend. Ich hatte immer latent das Gefühl in mir, dass es da gerade ein riesengroßes Problem gibt, mit dem ich mich befassen muss und das ich auf jeden Fall lösen muss. 

Unangenehme Nebenwirkungen

Ja, ich weiß, dieses Beispiel mit den Schuhen ist relativ harmlos. Und nach ein paar Tagen habe ich mich da auch zum Glück wieder gefangen. Ich habe die Schuhe übrigens immer noch und trage sie jetzt einfach mit etwas dickeren Socken – da hätte man ja nicht früher drauf kommen können. Aber dieses Beispiel veranschaulicht, finde ich, ganz gut, wie schnell man sich verlieren kann. In unwichtigen Dingen, die schnell vorbei gehen, aber vielleicht auch in relevanten Dingen, die doch nachhaltiger belastend sind. Gerade mit Worst-Case-Szenarien beschäftigen sich meine Gedanken sehr viel. Und auch mit Fehlern, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Wenn ich gemein zu Menschen war, die ich liebe oder jemandem nicht die Dankbarkeit gezeigt habe, die ich im Nachhinein aber gerne gezeigt hätte. Ich bereue oft und vieles, was ich getan habe oder nicht getan habe. Das ist einfach eine unangenehme Nebenwirkung, die mit dem Overthinking einhergeht. 

Ich weiß auch, dass so etwas ausufern kann – Angst- und Zwangsstörungen können zum Beispiel daraus entstehen. Aber ich weiß mittlerweile auch, dass ich lernen kann, mich davon freizumachen. Auch wenn das nicht immer so einfach ist. 

Harry Potter und trübe Denk-Suppen

Ich fühle mich dann immer wie Harry Potter, der den Kopf in Dumbledores Denkarium steckt. Er ist dann zwar noch körperlich in Dumbledores Büro anwesend, doch mit seinem Kopf taucht er tief in eine andere Welt ein. Und da kommt er nur wieder raus, wenn er sich bewusst dazu entscheidet, den Kopf aus dem Denkarium zu ziehen. Erst dann nimmt er wieder die echte Welt um sich herum wahr (ok, die echte Welt passt jetzt nicht so ganz bei Harry Potter, aber ihr wisst was ich meine). 

Wenn ich in meinem Denkarium feststecke, muss ich erst einmal merken, dass ich da gerade tief drin hänge. Und dann ist die große Kunst, den Kopf rauszuziehen. Mir hilft da zum Beispiel, mich abzulenken, also zum Beispiel, mit anderen Leuten über ganz andere Themen zu reden. Dabei richte ich meine Gedanken auf etwas anderes und bin präsent im Hier und Jetzt. Oder wenn ich tanze, dann kann ich mich auch aus den Tiefen der trüben Denk-Suppe befreien. 

Längerfristig hilft es aber auch, sich immer wieder zu ertappen und zu merken, dass man gerade wieder Gefahr läuft, in die Denkariums-Falle zu treten. Irgendwann wird das erstens leichter und zweitens nimmt man es dann auch nicht mehr allzu ernst. Gerade auch, wenn man zurückblicken und sich an etwas locker sitzende Schuhe erinnern kann und weiß, dass es meistens irgendwann vorübergeht.


Von Chiara (26): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.

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