Ich habe drei Schwestern: zwei jüngere und eine ältere. Ich bin also in der Mitte und damit eins von zwei Sandwichkindern der Familie. Sandwichkindern wird vieles nachgesagt: Tun sich schwer, ihre Rolle zu finden. Harmoniebedürftige Vermittler:innen. Stark auf Bestätigung angewiesen. Natürlich trifft all das nicht auf jede:n zu. Aber ich glaube, dass in meinem Fall die Geschwisterposition auf jeden Fall meine Persönlichkeitsentwicklung geprägt hat.
Als 1995 meine jüngere Schwester auf die Welt kam, haben sich die Rollenverhältnisse in unserer Familie verschoben. Auf einmal war ich nicht mehr das Küken mit den tollen Privilegien. Stattdessen musste ich den Nesthäkchen-Status abgeben und stand nun automatisch als Mittlerin zwischen meiner jüngeren und meiner älteren Schwester. Eine Umstellung, die dazu geführt hat, dass ich mich dann und wann übersehen fühlte.
Attention please!
Als ich für diesen Text meine Mutter frage, wie sich dieses Sandwichkind-Dasein bei mir ausgewirkt hat, fallen ihr zahlreiche Situationen ein. Situationen, in denen ich als Kind versucht habe, durch bewusste Provokationen die Aufmerksamkeit meiner Eltern auf mich zu lenken, weil ich mich offenbar nicht genug gesehen fühlte. „Im Doppelkinderwagen, in dem deine kleine Schwester vor dir saß, hast du ihr immer das Brötchen aus ihrer Hand geklaut“, erinnert sie sich. „Außerdem hast du ihr immer ihre Haargummis rausgerissen, mit denen ich ihr davor liebevoll eine Frisur gemacht habe.“ Wie gehässig! Anscheinend hat es meinem Kleinkind-Ich zunächst wirklich nicht so gut gefallen, dass ich jetzt nicht mehr die Jüngste im Haus war.
Meine Mutter erwähnt eine weitere Situation: „Ich habe die Kleine gestillt und dir hat es nicht gefallen, dass du keine Aufmerksamkeit bekommen hast, daraufhin bist du auf einen hohen Schrank geklettert und hast gerufen „Mama, guck mal!“, sodass ich das Stillen unterbrechen und dich da herunterholen musste.“
Schon fies, aber ja irgendwie auch logisch, oder? Natürlich gibt es Unausgeglichenheiten in der Verteilung der elterlichen Ressourcen, wenn ein neues Kind dazukommt. Das Ergebnis ist, dass automatisch etwas weniger in die anderen Kinder investiert wird. Deswegen ist es nur logisch, dass Kinder „neue“ Geschwister (zu Beginn) vielleicht dann und wann als Konkurrent:innen sehen. Weil sie spüren, dass da auf einmal noch eine weitere Person im Blickfeld der Eltern mit drin ist. „Deswegen hast du damals immer wieder versucht, dich selbst in unser Blickfeld hineinzurücken“, sagt meine Mutter. Bei Sandwichkindern kommt dazu, dass sie selten anhaltend die ausschließliche Aufmerksamkeit der Eltern bekommen. Denn während das erstgeborene Kind eine solche Phase der exklusiven Aufmerksamkeit in der ersten Entwicklungsstufe durchläuft, erfährt das jüngste Kind diese Phase oft „am Ende“, wenn die anderen Geschwister das Haus schon verlassen haben. Sandwichkinder müssen also immer “teilen”.
Auch heute noch habe ich öfter Schwierigkeiten damit, mich nicht (ausreichend) wahrgenommen zu fühlen, sondern eher übergangen. Auch, wenn das vielleicht gar nicht wirklich der Fall ist – es reicht, wenn ich den Eindruck habe. Und den habe ich oftmals leider sehr schnell. Ich habe gemerkt, dass ich von den Menschen, die mir nahe stehen, vermehrt erwarte, dass sie mich mit meinen Bedürfnissen und Eigenschaften wahrnehmen und aktiv auf mich eingehen. Tun sie das dann nicht, bin ich verletzt.
Richtig wäre eigentlich, meine eigenen Bedürfnisse auszuformulieren und für sie einzustehen, statt zu erwarten, dass alle meine Gedanken lesen. (Dass mir das allerdings manchmal schwerfällt, darüber habe ich hier mal etwas geschrieben.)
All das führe ich auf mein Sandwichkind-Dasein zurück. Ob das wirklich der Ursprung ist – keine Ahnung. Aber es tut gut, eine Erklärung dafür parat zu haben.
Einmal so cool sein wie die große Schwester
Als Sandwichkind habe ich mich manchmal wie in einer Zwickmühle gefühlt. Einerseits hat man ältere Geschwister, von denen man lernen und zu denen man aufschauen kann. Junge war ich damals immer beeindruckt, wenn meine große Schwester uns, als sie 18 war, in ihrem ersten von Vanille-Duftbaumschwaden durchzogenen Auto mit in die Schule genommen hat. Während „About you now“ von den Sugababes aus ihren Renault-Twingo-Boxen ballerte. Ich weiß noch genau, wie cool sie sich damals gefühlt hat. Und in meinen Augen war sie das auch.
Und andererseits habe ich als Sandwichkind dann noch die jüngeren Geschwister, für die ich mich irgendwie verantwortlich fühle und die ich vielleicht beschützen möchte. Meine jüngste Schwester würde an dieser Stelle jetzt aufschreien: „Beschützen?! Als ich klein war, hast du mich einmal in ein Zimmer eingesperrt und erst rausgelassen, als ich das Alphabet konnte!“ – Ja, vielleicht ist das meine komische Art, jemanden zu beschützen. Vor der geistigen Unterforderung habe ich sie beschützt!
Nein, ich war schon irgendwie ziemlich herrisch. Anscheinend musste ich irgendetwas kompensieren. Vielleicht, dass sie mir die Sandwichkind-Rolle eingebrockt hat?
Davon abgesehen, dass ich meine kleine Schwester eingesperrt habe, habe ich aber auch blöden Jungs, die sich ihr gegenüber mies verhalten haben, Droh-Nachrichten geschrieben. Im Fall meiner anderen kleinen Schwester habe ich auf dem Pausenhof auch mal einem Typen hinten reingetreten, der sie gemobbt hat.
Vermittelnde Mittelkinder
Eine weitere Rolle, die man Sandwichkindern nachsagt, ist die der Vermittlerin. Damit kann ich mich sehr gut identifizieren, auch heute noch. Ich hatte in meinem Leben schon früh regelmäßig das Gefühl, dass es meine Aufgabe wäre, die Bedürfnisse und Wünsche anderer auszubalancieren, um einen Harmoniehafen zu sichern – auch im Familienkontext. Das war und ist oftmals schwierig und in dieser Rolle fühlte ich mich nicht immer verstanden oder gehört.
In der Mitte ist es warm
Wenn ich jetzt die Wahl hätte: Sandwichkind sein oder weniger Geschwister haben – ich würde mich für das Sandwich entscheiden. Nicht nur, weil ich glaube, dass mich das Mittelkindsein gelehrt hat, wie man Kompromisse schließt und Konsens findet. Auch, weil ich früh Verantwortung übernehmen und selbstständig sein musste – das hat mich sicherlich irgendwo auch in meiner Persönlichkeitsentwicklung gestärkt.
Vor allem aber, weil ich durch meine vielen Geschwister immer jemanden zum Reden und zum Spielen hatte. Ich habe viel Liebe und Unterstützung bekommen – und kann auf eine tolle Kindheit zurückblicken.
Bei all den Sorgen und Gedanken bleibt eins immer sicher: Ich bin der Käse und meine Schwestern sind die Brotscheiben, die mich umarmen. ❤

Von Fee (29): Während Fee sich früher noch Kurzgeschichten über böse Punker ausgedacht hat, schreibt sie heute als Journalistin lieber Texte über die Gefühle ihrer Generation, über gesellschaftliche Missstände und inspirierende Menschen. Manchmal macht sie auch einen Fernsehbeitrag darüber. Ihr Mitbewohner sagt, sie wäre etwas zu vorwitzig und sollte weniger Fragen stellen, aber sie sieht das anders. Immer am Start: Empathie, der Wunsch, mehr von der Welt zu sehen und Hündin Martha.