Ich bin eine Ja-Sagerin. Oder aber eine verzweifelte Absagerin. Selten aber eine, die ihre Meinung und Bedürfnisse ehrlich kommunizieren kann – aus Angst, mit anderen anzuecken. Und das will ich ändern.
Nicht nur einmal hat sich folgende Situation so in meinem Alltag abgespielt: Ich arbeite und habe echt viel zu tun. Dann schreibt mir ein:e Kolleg:in, mega lieb: „Hey Chiara, hättest du Zeit, etwas für mich zu erledigen?“ Mein innerer Schutzimpuls sagt: “NEIN, du hast gerade schon genug zu tun”, doch meine Angst schreit: “Wenn du jetzt nein sagst, wirst du bestimmt bald gefeuert.”
Meine Hände tippen also: „Ja klar, um was geht’s?”.
Die Angst vor dem Nein
Auch wenn ich eigentlich meistens die Wahl habe, Ja oder Nein zu sagen, fühle ich mich, als hätte ich sie doch nicht.
Das Problem ist auch nicht neu: In der 7. Klasse war ich mal zwei Tage mit einem Schulfreund in einer „Beziehung“, weil ich auf die Frage „Willst du mit mir zusammen sein?“ selbstverständlich Ja gesagt habe – obwohl ich genau das Gegenteil wollte.
Aber meine Ängste blockieren mir die Antwortmöglichkeit ‘Nein’ immer wieder.
Auf der Arbeit glaube ich, Nein-sagen wäre ein Zeichen von Schwäche oder mangelndem Fleiß. Und wenn es um mein Privatleben geht, denke ich oft, meine Freund:innen oder Familienmitglieder wären enttäuscht und verletzt, wenn ich Nein sage. Oder sie würden mich dann nicht mehr mögen. Wenn ich dann in seltenen Fällen doch Nein sagen MUSS, dann versuche ich mich durch hundertfache Entschuldigungen und Rechtfertigungen von dem unangenehmen Schuldgefühl zu befreien, das mich jedes Mal einnimmt.
Wo sind eigentlich MEINE Wünsche und Bedürfnisse?
Dass dieses Verhalten nicht gesund ist, merke ich in letzter Zeit immer häufiger. Ob es darum geht, meinen mir zustehenden Urlaub einzufordern, Freund:innen einen Gefallen zu tun oder einfach meine Freizeit zu planen – ich habe das Gefühl, dass fast alles fremdbestimmt ist. Dass ich selbst kaum mehr für mich entscheide, sondern vielmehr die meiste Zeit etwas hinterher hetze oder mich entschuldige, wenn ich es nicht tue.
Im Kleinen ist es natürlich auch entspannt, nicht alles selbst zu entscheiden und sich von anderen mitreißen zu lassen. Und es kann auch schön sein, etwas jemand anderem zuliebe zu tun.
Doch weil ich so sehr darauf achte, was andere von mir erwarten, weiß ich manchmal gar nicht mehr, was meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche sind. Ich habe sie irgendwie weggesperrt und den Schlüssel finde ich oft nicht mehr.
Unter Fachleuten wird das übrigens auch “People-Pleasing” genannt (Quelle: funk).
Als ich mich deshalb wortwörtlich bei meiner Therapeutin ausgeheult habe, hat sie mir das eigentlich Offensichtliche geraten: Wenn ich merke, dass ich eigentlich keine Lust oder keine Zeit für etwas habe, soll ich dem auch Raum geben, anstatt es zu unterdrücken. Es geht dabei vor allem darum, herauszufinden, was ich stattdessen will. Auch wenn die Angst da ist, jemanden zu verletzen oder dafür verurteilt zu werden. Denn es ist vollkommen okay, auch mal etwas nicht machen zu wollen oder zu können. Und das auch ohne Rechtfertigungen zu äußern. Andere machen das ja auch so.
Lernziel: Nein-Sagen
Mein neues Ziel sollte also sein, auch mal Nein zu sagen. Und relativ schnell wurde ich an einem lauen Sommerabend direkt auf die Probe gestellt:
Meine Freundinnen und ich wollten zusammen wegfahren. Wir saßen also mit aufgeschlagenen Kalendern auf dem Balkon und haben versucht, uns auf ein Datum zu einigen. Irgendwann mussten wir feststellen, dass es eigentlich nur einen Termin gibt, an dem bei uns allen noch nichts im Kalender stand. Ich hatte aber am Wochenende davor und am Wochenende danach zwei weitere Wochenendtrips geplant. Dass ich an diesem freien Wochenende also keine Lust und Energie haben würde, noch einmal wegzufahren, war für mich glasklar. Trotz meinem Angst-Szenario (Was wenn sie mich dann nicht mehr mögen oder verletzt sind?) habe ich für das Wochenende ein Nein ausgesprochen.

Raus aus der Spirale & die Kunst des Vielleicht-Sagens
Stolz habe ich meiner Therapeutin danach erzählt, dass ich es endlich geschafft habe, klar und deutlich NEIN zu sagen. Doch so beeindruckt war sie gar nicht. Sie meinte, es ginge jetzt nicht unbedingt darum, dass ich eine Mauer um mich baue und jegliche ‘Anfragen’ direkt mit einem Nein-Sagen abschmettere. Viel besser wäre es, wenn ich mir einfach mal ein bisschen Bedenkzeit einräume. Also quasi erstmal nur Vielleicht sage. Dann hätte ich nämlich den Raum, zu erkennen, ob ich in das People-Pleasing-Muster verfalle. Und könnte mich dann bewusst fragen, was eigentlich meine Bedürfnisse und Kapazitäten sind, anstatt direkt den anderen alles recht machen zu wollen. Danach kann ich dann immer noch entscheiden, ob ich Ja oder Nein sage – nur habe ich dann meine eigene Positition in die Rechnung miteinbezogen. Und fühle mich dadurch weniger fremdbestimmt.
Das hat den Knoten erst wirklich zum Platzen gebracht. Die ganze Zeit habe ich mich nur mit dem Ja- und Nein-Sagen beschäftigt und mich total darauf verkrampft. Doch es gibt so viel zwischen dem grundsätzlichen Ab- oder Zusagen. Und das ist, glaube ich, die eigentliche Kunst des Ja- und Nein-Sagen-Lernens: auch mal Vielleicht sagen, um sich Zeit zu verschaffen und aus der People-Pleasing-Spirale auszusteigen.

Von Chiara (25): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.
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