Forever young – über die Angst vorm Älterwerden

Vor Kurzem habe ich auf meinem Kopf ein erstes graues Haar entdeckt. Damit habe ich, pünktlich zu meinem Überschreiten der goldenen 25-Jahres-Grenze – weg von der 20, hin zur 30 – das erste Mal Panik vor dem Älterwerden bekommen.


Als meine Mutter 40 wurde, war ich 9 Jahre alt. Ich erinnere mich noch an ihre Geburtstagsparty, die im Stil einer “Karibischen Nacht” gefeiert wurde – ich habe da meinen ersten alkoholfreien Caipirinha getrunken. Viel besser erinnere ich mich aber noch daran, dass meine Mutter gar nicht 40 werden wollte. Sie wollte lieber 39 bleiben: „Ich werde nur 39a. Und nächstes Jahr werde ich dann 39b und so weiter.“ Mittlerweile ist meine Mutter 56 und bangt vor den 60ern. Oft fragt sie mich, wenn Maria Furtwängler als Tatort-Kommissarin über den Fernsehbildschirm spaziert: „Was glaubst du, wie alt ist die?“ – Ich kenne die Antwort, weil sie mich das schon 1000 Mal gefragt hat: Sie ist der gleiche Jahrgang wie meine Mutter. Und ich weiß auch, worauf sie hinaus will: „Findest du ich sehe älter aus als die?“ Ich rolle dann immer mit den Augen und sage, dass es doch scheißegal ist, ob irgendeine Tatort-Schauspielerin, die sich wahrscheinlich sowieso in spätestens zwei Jahren (wenn nicht schon geschehen) Botox in die Falten klatscht, älter oder jünger aussieht als sie.

WM 2006 – Beste Leben 4 eva

Als meine Mutter 40 wurde, war ich 9 Jahre alt und habe alles daran geliebt. Es war das Jahr 2006. Gerade war Fußball-Weltmeisterschaft und ich lebte mein ganz persönliches Sommermärchen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich mein Leben jemals besser anfühlen könnte. Ich fand es traurig, dass ich bei der nächsten WM schon 13 sein würde – was für ein dummes Alter. 

Aber auch mit 13 habe ich mein Alter geliebt. Ich fand es cool, endlich Teenagerin zu sein und jubelte auch jedem weiteren Geburtstag entgegen. 14, 15, 16, 17, 18 – mit jedem Jahr hatte ich mehr Möglichkeiten, durfte mir selbst Alkohol kaufen, alleine Autofahren. Mit den frühen Zwanzigern kam dann die Selbständigkeit: Ich hatte mein eigenes Leben, war ausgezogen, frei wie ein Vogel. Doch gleichzeitig hatte ich das erste Mal in meinem Leben  auch richtige Krisen.  

Ein viertel Leben ist rum

Seit ich 25 bin, ist es, als wäre ich WIRKLICH erwachsen (“Jetzt geht’s auf die 30 zu”). Ich bekomme kein Kindergeld mehr, dafür kommen aber Themen wie Kinderkriegen, Lebensplanung und Nestbau bedrohlich nahe. Ja klar, alles zu seiner Zeit – aber MEINE BIOLOGISCHE UHR TICKT! Mein Körper wird älter: Die Kater werden immer schlimmer – Sieben Tage am Stück Party machen wie auf der Abifahrt kann ich mir nicht mehr geben.

Und wie gesagt, ich schreibe diesen Text kurz nachdem meine Mutter mir ein schneeweißes, borstiges Haar aus dem Kopf gerupft hat („Ha! Du hast ein graues Haar!“). Der Schock sitzt immer noch tief. 

Beginnt jetzt schon mein körperlicher Verfall? Ich habe schon ein paar Falten (ok genau genommen Lachfalten) im Gesicht. Jetzt noch die Haare?

Ein schmerzliches Spiegelbild hält mir dabei auch das Dasein meiner kleinen Schwester vor die Augen. Sie ist 18 und wortwörtlich in der Blüte ihres Lebens. Sie wird mir diesen Spiegel für den Rest meines Lebens vorhalten – wenn ich 40 bin, ist sie gerade mal Anfang 30 – das ist doch gemein!

Wie alt fühlst du dich?

Dieses graue Haar gab mir Déja-vu-Vibes: Es erinnerte mich an damals, als ich 9 Jahre alt war, und meine Mutter angefangen hat, sich vor dem Altern zu grausen. Nur, dass es jetzt ich war, die sich die Frage stellte, ob sie sich auch davor grausen sollte.

Ich glaube, was dafür spricht, und was vielen Angst vorm Älterwerden macht, ist nicht nur der körperliche Niedergang (wow wie pathetisch) – es ist wahrscheinlich nur die Sichtbarmachung von alldem, was zusätzlich noch vergehen wird, wenn wir älter werden. Denn man ist doch sowieso nur so alt wie man sich fühlt – nicht wahr? 😉

Vergangene erste Male

So wie ich traurig darüber bin, dass ich „Game of Thrones“ nie wieder zum ersten Mal schauen kann, so kann ich auch nie wieder meine Lebensphasen zum ersten Mal durchleben: Ich werde nie wieder Ersti sein, nie wieder kurz vorm Abi mein Leben auskosten, nie wieder das erste Mal verliebt sein, das erste Mal Alkohol trinken, das erste Mal von zu Hause ausziehen, das erste Mal von meinem Bruder mit dem Auto abgeholt werden, das erste Mal bei einer Freundin übernachten, das erste Mal meine Baby-Schwester im Arm halten, das erste Mal romantisch zurückgeliebt werden.

Ich glaube, was vielen Angst vorm Älterwerden macht, ist nicht nur der "körperliche Niedergang" - das ist wahrscheinlich nur die Sichtbarmachung von alldem, was zusätzlich noch vergehen wird, wenn wir älter werden.

Als ich als 9-Jährige weise dachte, ich würde nie wieder die Fußball-WM so erleben wie in diesem magischen Sommer 2006 – da hatte ich recht! Jede WM war anders. Mit 13 erlebte ich sie das erste Mal teilweise ohne meine Eltern. Mit 17 habe ich das Nachtleben für mich entdeckt und hatte verzwickte Liebesgeschichten am Hals. Mit 21 war ich gerade frisch in einer Beziehung und wohnte schon seit zwei Jahren nicht mehr bei meinen Eltern. Und jetzt? Wohne ich nicht mehr in einer WG, dafür in einer anderen Stadt, stehe kurz vorm Ende meiner Studienzeit, stehe mit einem Bein im Berufsleben – und werde die nächste WM wahrscheinlich nicht mal anschauen. 

Alles was ich noch sein, haben und machen kann

Wovor wir also wirklich Angst haben, ist doch, was wir mit dem zunehmenden Alter nicht mehr haben, machen und sein werden. 

Aber diese Sichtweise ist eben auch sehr melancholisch. (Meine Deutschlehrerin würde sagen, hier bestimmt das Vanitas-Motiv (Vergänglichkeits-Motiv) den Text.) Und ab und zu ist es ja auch ok, irgendwie auch schön, dem Vergangenen hinterherzutrauern. Dem was ich mal war, was ich hatte und gemacht habe. 

Aber vielmehr möchte ich mich ab jetzt darauf konzentrieren, was ich alles schon geschafft habe und was ich alles noch haben, sein und machen kann! Denn: Je älter ich werde und desto mehr mein Körper äußerlich „verfällt“, desto stärker werde ich innerlich. Wie eine Pflanze die am Anfang ein kleiner, zarter Ableger ist und nach und nach ihre eigenen Wurzeln schlägt, größer wird, schöner wird, ab und zu ein paar Blätter verliert, hin und wieder zu wenig Wasser hat, aber immer stabiler wird und dadurch besser mit Veränderungen umgehen kann.

Um den Gedanken auf den Punkt zu bringen, muss ich hier einmal Sophie Passmann zitieren, die mich auf diese Fährte gebracht hat: 

„Ich halte Älterwerden für den absoluten Oberknaller. Ich habe nicht eine Sekunde Angst davor, irgendwann nicht mehr jung zu sein. Bisher war jedes Lebensjahr auf irgendeine Art besser als das davor undsoweiter. Vor ein paar Jahren haben mich noch Dinge in Lebenskrisen gestürzt, die ich heute total gut abkann.“

Und dann führt sie eine Liste von Dingen auf, die sie heute kann und die für sie früher unmöglich waren.
Hier kommt meine Liste:

  1. Kochen
  2. Meinen Bauchspeck einfach annehmen
  3. Meine ölige Haut nicht zwanghaft überpudern zu müssen, sondern als natürlichen Glow zelebrieren
  4. Mir Zeit für meine Hobbys nehmen
  5. Bücher lesen, weil sie mir gefallen und nicht, „weil man das gelesen haben sollte“
  6. Koffeinfreien Kaffee trinken, weil es mir damit besser geht
  7. Nachsalzen, auch wenn manche das als unhöflich empfinden
  8. Kleidung tragen, ohne zu wissen, ob es anderen gefällt
  9. Mich nicht in moralischen Diskussionen mit Verwandten verlieren
  10. Schlechte Witze machen und dann selbst darüber lachen
  11. Häkeln, einfach nur weil’s Spaß macht
  12. Routinen pflegen, in denen ich mich gut fühle
  13. 6 Tage die Woche vor 00:00 Uhr ins Bett gehen
  14. Dazu stehen, dass ich Herpes habe
  15. Offen über meinen Körper, meine Periode, meine Verhütung sprechen
  16. Freund:innen finden
  17. Trotz Fomo nicht alles mitmachen
  18. Allein sein 
  19. Planlosigkeit aushalten
  20. Mich rechtzeitig mit Sonnencreme eincremen
  21. Smalltalk (auch wenn ich ihn immer noch hasse)
  22. Eigene Texte veröffentlichen
  23. Nicht aussehen wollen, wie ein anderer Mensch
  24. Absagen, wenn mir etwas zu viel wird
  25. Anderen sagen, dass ich sie liebe

Von Chiara (25): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.

2 Kommentare

  1. Liebe Chiara,

    vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel übers Älterwerden! Es bleibt spannend, ein Leben lang gibt es immer wieder ein erstes Mal, immer anders. Ganz gleich, wieviele Jahre und Erlebnisse wir schon angesammelt haben. Und: aus mancher Melancholie kann eine Erinnerung in Dankbarkeit werden. Und Gelassenheit. Auch dafür bin ich dankbar.

    Liebe Grüße Michaela

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