Triggerwarnung: Häusliche Gewalt!
Im Jahr 2020 waren 148.031 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Davon sind laut Statistik in vier von fünf Fällen Frauen betroffen. Jede dritte Frau in Deutschland wird einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Jede vierte Frau durch ihren (Ex-)Partner.
Häusliche Gewalt: Ein Thema, zu dem ich eigentlich gar nichts sagen kann, weil ich selbst nie betroffen war. Und trotzdem oder vielleicht genau deswegen lässt es mich nicht mehr los.
Neulich war ich mit zwei Freundinnen in Regensburg. Wir haben uns mit einem Freund getroffen, saßen im Café, haben alle unser Heißgetränk genossen und über Gott und die Welt geredet. Über alte Zeiten im Auslandssemester, was wir so die nächste Zeit vorhaben und wo wir uns dann alle gegenseitig besuchen können. Wir hatten eine schöne, unbeschwerte Zeit.
Eigentlich direkt in meinem Sichtfeld, keine 3 Meter entfernt, war eine Hauswand mit einem Graffiti, das ich erst nach einer ganzen Weile wirklich wahrgenommen habe:
139 Frauen vom
(Ex-)Partner
getötet 2020
Wir haben angefangen, darüber zu sprechen, wie absurd das eigentlich ist. 139 Frauen, die von ihren (Ex-)Partnern getötet wurden. Alleine 2020 – das war alle drei Tage eine Frau, die ihr Leben verlor. Femizid nennt man das. 139 Femizide.
Wie traurig ist es eigentlich, dass mir Word das Wort Femizid als falsch anstreicht?

Die Fallzahl der Partnerschaftsgewalt ist exorbitant hoch. 2020 wurden allein 148.031 Fälle erfasst. Davon waren 119.164 weibliche und 28.867 männliche Opfer. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer auf beiden Seiten weitaus höher ist. Nicht alle Betroffenen gehen zur Polizei. Dazu kommt, dass nicht jede Gewalt unbedingt körperlicher Natur sein muss. Sie äußert sich auch in Beschimpfungen, Bedrohungen und Kontrolle.
Eine Folge Schuld
Das Thema lässt mich nicht mehr los. Ich denke seit dem Graffiti ständig daran, dass ich mal eine Folge Schuld von Ferdinand von Schirach geschaut habe, in der es um häusliche Gewalt geht. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als ich sah, wie die Frau sich auszog und ihr ganzer Körper grün und blau war. Danach war ich wahnsinnig bedrückt. Ich wusste, dass das passiert, das ist ja nichts Neues, aber es zu sehen war irgendwie was anderes. Natürlich – es ist eine Serie, aber sowas passiert jeden Tag. Jeden Tag neben uns, über uns, unter uns, überall. Und trotzdem habe ich das Thema auch wieder aus meinem Blickfeld verdrängt – es betrifft mich ja nicht direkt.
Dabei hängen in ungefähr jeder Damentoilette, überall im ÖPNV Poster mit dem Schriftzug Sind Sie Opfer häuslicher Gewalt? – die Frage auf verschiedenen Sprachen, eine Nummer, die man anrufen kann. Wie oft sehe ich die Poster und nehme sie schon gar nicht mehr wahr? Es betrifft mich ja nicht direkt.
Wenn man auf Pause drücken kann
Und dann schaue ich eine Doku über Femizide und Gewalt in Partnerschaften. Es wird erzählt, wie ein Mann mit einem Messer auf seine Ex-Partnerin einsticht, mit einer Axt auf ihren Kopf schlägt und sie dann an ein Auto bindet und durch die Stadt schleift. Der Sohn im Kleinkindalter sitzt ebenfalls im Auto. Ich kann es nicht fassen. Ich musste erst einmal auf Pause drücken und mit meiner Mitbewohnerin darüber reden. Ich konnte auf Pause drücken.
Ich kann (zum Glück) nicht aus eigener Erfahrung sprechen. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man Angst hat, weil der Partner nach Hause kommt und man vergessen hat, Brot zu kaufen oder einfach Angst haben muss, dass er einen schlechten Tag hatte. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe immer nur sehr schöne und respektvolle Erfahrungen mit Männern in meinem Umfeld gemacht. Ich kenne auch keine Frau in meinem nächsten Umfeld, der das passiert ist. Allerdings Freundinnen von Freund:innen – das hat mich immer schon schockiert.
Haha! Gar nicht witzig eigentlich.
Ich bin ein Mensch, der schnell blaue Flecken bekommt und ständig überall gegen rennt. Das eine bedingt das andere. Wie oft wurde ich schon gefragt: „Hat er dich wieder geschlagen? HAHA!“ (Er = mein damaliger Freund.) Haha! Witzig! Hat er nie – nur, um das klarzustellen.
Aber wie oft werden Frauen das gefragt, mit einem Lachen, denen es vielleicht wirklich passiert ist? Wie reagieren sie dann? Vielleicht so wie ich „Haha! Ja geeeeenau!“ Nur, dass es da dann nicht „witzig“ gemeint ist.
Das betrifft Frauen sowie Männer – bei denen die Dunkelziffer noch viel höher ist – in jeder gesellschaftlichen Schicht. Häusliche Gewalt passiert immer und überall. Durch ein simples Graffiti in einer bayrischen Stadt ist mir das (wieder) bewusst geworden. Ein Thema, das ich mehr oder weniger verdrängt habe, nur, weil ich es nicht jeden Tag sehe.
Wenn ihr Opfer häuslicher Gewalt seid (egal, ob Männer oder Frauen) oder Menschen kennt, die sich in einer solchen Situation befinden, könnt ihr Hilfe suchen und bekommen:
Hilfetelefon: 08000 116 016
https://weisser-ring.de/haeuslichegewalt

Von Cilli (25): Cilli gibt gerne Blödsinn von sich. Deshalb sind auch hier die ein oder anderen Texte mit ihrer zynischen Ironie gespickt, die uns alle immer wieder zum Lachen und Nachdenken bringt (“war das jetzt ernst gemeint?”). Sie ist außerdem eine wunderbare Zuhörerin, weshalb sie sich regelmäßig in die Lage anderer hineinversetzt und daraus einfühlsame Porträts zaubert.