„Einfach im Hier und Jetzt leben“ ist einer der häufigsten Ratschläge bei Anxiety und Zukunftsstress. Hört sich grundsätzlich gut an, klappt aber bei Weitem nicht immer. Vor allem wenn es um den zukünftigen Beruf geht, werden wir schließlich schon von Kindheitstagen an mit Zukunftsproblemen konfrontiert.
„Sängerin“ hat Mona in das „Das will ich einmal werden“-Feld in mein Freundebuch geschrieben. Mona war in meiner Grundschulklasse und damit natürlich auch in meinem Freundebuch, obwohl ich nie viel mit ihr zu tun hatte. Sie war immer eher zurückhaltend und schüchtern. Ich weiß nicht mal, ob sie eine gute Singstimme hatte. Aber zumindest hatte sie eine lebhafte Vorstellung von ihrem zukünftigen Leben als Sängerin. Möglicherweise inspiriert von Hannah Montanas Doppelleben oder von Demi Lovato, die auf der Camp Rock Bühne „This Is Me“ zum Besten gibt. Vielleicht hat ihr die Vorstellung, ein Popstarleben zu führen, gerade deswegen so gutgetan, weil sie in ihrem realen Grundschulleben so unauffällig war. Ich weiß nicht, was Mona heute macht. Nach der Grundschule ist sie mit ihrer Familie aus unserem Dorf weggezogen. Als große Sängerin ist Mona jedenfalls nicht bekannt.
Julian ist statt Düsenjetpilot heute Bankkaufmann. Linda und Sophie wollten Säuglingsschwester und Reiterin werden – und sind heute beide im Einzelhandel tätig. Während Maxine statt Friseurin Kindergärtnerin geworden ist, arbeitet Ines statt im Kindergarten in der Digitalisierungsabteilung eines Krankenhauses. Aus Jessis und Rebeccas Tierärztinnen-Traum wurde bei der einen Krankenschwester und bei der anderen Jura-Studentin. Nur mein Lehrer aus der vierten Klasse ist heute hoffentlich wirklich „rundum glücklich und zufrieden“.
Von Zukunftsplänen und Zukunftsproblemen
Wie die meisten, die in mein Freundebuch schreiben durften, habe auch ich den Berufswunsch meines siebenjährigen Ichs verworfen. „Lehrerin“ steht da bei mir. Richtige Streberin. Und 15 Jahre später bin ich weit entfernt von dieser infantilen Zukunftsvorstellung. Als Kind kann und darf man sich alles erträumen, was nur irgendwie zu erträumen ist. Und wenn meine Lehrerin in der ersten Klasse eine bewundernswerte Person für mich war, wollte ich eben auch Lehrerin werden. Und das ist völlig okay.
Irgendwann müssen natürlich auch die weniger realistischen Berufswünsche angepasst werden und spätestens mit dem Schulabschluss sollte ein Karrierewunsch vorliegen, der die Rechnungen zahlen und Sicherheit garantieren kann. Bestenfalls sollte der zukünftige Job auch noch wirklich interessant sein und Spaß machen. So oder so ähnlich habe ich das zumindest bei den Berufsorientierungsstunden im Gymnasium gehört. Bei vielen aus meinem Grundschulfreundeskreis hat das auch geklappt. Bei mir ursprünglich auch, denn nachdem ich den Lehrerinnen-Traum verworfen hatte, war ich mir schnell sicher, dass ich Journalistin werden will.
Diese Sicherheit hat mich lange beruhigt. Natürlich hatte ich Verständnis für meine Freund:innen, die ein bisschen planloser auf ihre berufliche Zukunft geblickt haben, aber wirklich nachvollziehen konnte ich es nicht. Für mich war das Leben einer Journalistin – mein zukünftiges Leben, so wie ich es mir vorstellte – genau das, was ich erreichen wollte. Mir konnte es nach dem Abi gar nicht schnell genug gehen. Statt im Flieger nach Neuseeland oder Australien, saß ich in Kommunikationswissenschaftsvorlesungen, weil ich mir eben einfach sicher war. Mittlerweile habe ich diese Sicherheit irgendwie verloren. Mit 23, nachdem ich schon mal gemeint hatte, den richtigen Plan für mich zu kennen, fühlt sich das furchteinflößender an als damals mit 14, als noch niemand wirklich einen Plan von sich und seinem Leben hatte. So wurden aus Zukunftsplänen relativ schnell nur noch Zukunftsprobleme.
Die Sicherheit des lost-Fühlens
Gut, dann habe ich im Moment also keine genaue Vorstellung von meinem beruflichen Weg. Muss ja nicht schlimm sein. Ich weiß, dass es Leute gibt, die noch viel später in ihrem Leben den „richtigen“ Weg für sich gefunden haben. Vor Kurzem unterhielt ich mich mit jemandem, der sich „erst“ mit 27 getraut hat, seine eigentliche Leidenschaft auszuleben und auf eine Schauspielschule zu gehen. Heute ist er zwar sicher kein Leonardo DiCaprio (falls das überhaupt wünschenswert wäre), aber auf mich wirkt er mit seinen Theaterinszenierungen und einzelnen Fernsehrollen zumindest zufrieden. Oder ein anderer Bekannter, der nach einer Schreinerausbildung und einem FSJ beschlossen hat, Sonderpädagoge zu werden. Er hat dann sein Abi nachgeholt und studiert jetzt mit 28 Jahren im zweiten Bachelorsemester Sonderpädagogik.

Gespräche mit solchen Leuten lassen mich ein bisschen weniger lost fühlen, ein bisschen mehr, als wäre es okay, jetzt noch nicht zu wissen, wohin der Weg noch führen wird. So genau kann das wahrscheinlich sowieso kaum jemand von seiner Zukunft sagen. Und manchmal spielt das Leben ja auch einfach mit uns, wie es sich das eben gerade vorstellt. Aber ist irgendwann eine Grenze erreicht? Ist es irgendwann einfach zu spät, sich noch mal umzuorientieren?
Karriereleitern für Ballerinabeine
Für mich fühlt es sich zumindest manchmal so an. Schon in den Grundschul-Freundebüchern sollten wir festhalten, was wir einmal werden wollen. Und auch danach werden wir von Familie, Freunden und (Un-)Bekannten immer wieder danach gefragt. Je weiter ich mich von der einen klaren Antwort entferne, desto mehr widerstrebt mir diese Frage. Vielleicht fokussieren wir uns als Gesellschaft auch viel zu sehr auf die Vorstellung von dem einen geraden Berufsweg mit einer langen, steilen Karriereleiter, die aber (zumindest, wenn man sie relativ weit nach oben klettern will), möglichst früh bestiegen werden möchte. Vielleicht, wenn ich fünf Praktika mehr gemacht hätte, wäre ich irgendwo in einem Unternehmen hängengeblieben und hätte mich dort nun schon zu meinem perfekten Beruf hochgearbeitet, statt mich mit einem nur so semi interessanten und erfüllenden Werkstudi-Job über Wasser halten zu müssen.
Möglicherweise habe ich die Abbiegung auf den Weg, der eigentlich wie für mich gemacht gewesen wäre, auch schon viel früher verpasst. Vor Kurzem fragte mich ein Sportstudent, ob ich mal Ballett getanzt hätte. Man kann Füße wohl irgendwie bewegen als wäre man eine Ballerina. Und laut seinem (zu dem Zeitpunkt zugegebenermaßen nicht mehr ganz nüchternen) Urteil würde ich das wohl manchmal tun. Wer weiß, wenn ich damals mit sieben Jahren meine Zeit nicht hinter der Tischtennisplatte, sondern in einem Tanzstudio verbracht hätte – wäre ich heute eine Primaballerina?
Vielleicht erwarte ich auch viel zu viel von meinem zukünftigen Beruf. Vielleicht sollte „rundum glücklich und zufrieden“ zu werden, auch mein einziger Wunsch sein. Vielleicht ist es naiv, zu glauben, dass ich – dass jede Person wirklich den einen Job finden kann, der perfekt zu ihr passt, der sie wirklich erfüllt. Und für manche Menschen hat das ja auch gar keine Priorität in ihrem Leben. Oder sie haben gar nicht das Privileg, sich so viele Gedanken über sich und ihre Zukunftspläne machen zu dürfen. Während die Zukunftsvorstellungen in meinem Kopf ausgefüllt sind von Karrierewegen und Berufschancen, tummeln sich in anderen Köpfen Bilder von der eigenen Familie und einem Eigenheim. Und das ist noch mal ein ganz anderes Zukunftsproblem.

Von Lena (23): Lena ist kein nachtragender Mensch. Aber über die Unkreativität ihrer Eltern bei der Namensgebung ist sie immer noch nicht ganz hinweg. Als hätte unsere Generation nicht schon genug damit zu tun, sich ständig abzuheben, muss Lena sich auch noch im Meer der Lenas behaupten. Sie fasziniert die Menschen um sich herum als Zuhörerin und Freundin. Als wissbegieriges Kind und seriöse WDRlerin. Als aufmerksame Beobachterin und politisch interessierte Journalistin.