Ich komme aus dem Saarland. Und manchmal mache ich selbst Jokes darüber. Saarland-Bashing kann ja auch unterhaltsam sein. Zumindest, wenn man sich dabei ein bisschen Mühe gibt und nicht wie eine Loop Station alles wiederholt, was Böhmermann mal gesagt hat. Denn das Saarland hat durchaus seine Eigenarten – das kann man nicht leugnen. Das hier soll aber kein Bashing-Text werden, sondern eher ein Überlegungsprozess, ob es nicht vielleicht gut wäre, als eingefleischte:r Saarländer:in auch mal woanders hinzuziehen, wenn auch nur für eine befristete Zeit.
Wenn du in einer Großstadt wie Köln, Berlin oder Hamburg lebst und einer Person gegenüber offenbarst, dass du ursprünglich aus dem Saarland kommst, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder dein Gegenüber nimmt das einfach so hin, oder aber es folgen ein schelmisches Grinsen und ein 💫fetziger💫 Spruch. Gerade neulich wieder erlebt. „Ahhhh Saarland. Also sind deine Eltern Geschwister.” So erfrischend, noch nie gehört. Da würde ich doch am liebsten gleich Sex mit dir haben, Manuel. So kreativ war das.
Dann hat Manuel aber, glaube ich, gemerkt, dass das gerade nicht so gut ankam. Und nach einem neuen Icebreaker gesucht, sein Kopf hat geraucht. „Ja, nice… aber Französisch kannste schon, oder?“ Damit meint er nicht die Sprache, das zeigt mir sein ekliger Blick.
Was haben ein:e Saarländer:in und ein Boomerang gemeinsam?
Ich habe das Saarland ziemlich genau an meinem 21. Geburtstag verlassen. Vor sieben Jahren. Einfach weil mir immer klar war, dass ich die Großstadt oder zumindest einen Ortswechsel brauchte, um mich zu finden, mich zu entwickeln und einfach um so leben zu können, dass es mich erfüllt: mit mehr Möglichkeiten, mehr neuen Menschen, mehr Kiosks. Es gibt so einen Spruch im Saarland, den dort alle kennen: „Wer das Saarland einmal verlassen hat, der kommt eh wieder irgendwann zurück.“ Auf mich trifft dieser Spruch nicht zu. Ich sehe mich Mitte 60 eher mit Kirschen und Radler auf einer Parkwiese liegend, als im Eingangsbereich des Saarlouiser Globus’ an Hochtischen mit Fleischkäsweck und Aperol sitzend.
Der Großteil meiner saarländischen Freund:innen und ehemaligen Mitschüler:innen von früher hat noch nie woanders gelebt als im Saarland. Nicht mal für ein halbes Jahr. Das ist natürlich absolut okay, wenn das Bedürfnis einfach nicht da ist oder durch den Job eine Ortsabhängigkeit besteht. Ich will hier unter keinen Umständen Lebenskonzepte belächeln. Und auch wer Lust hat, mit 24 zu heiraten, ein Grundstück in einem kleinen Dorf zu kaufen und Familie zu gründen, soll das bitte machen! Nicht für jede:n ist die Großstadt was. Aber ich frage mich, ob es nicht vielleicht wirklich gut für die persönliche Entwicklung ist, mal mindestens für einen gewissen Zeitraum woanders zu leben. Andere Menschen kennenzulernen, neue Ortskulturen zu erleben, den eigenen Horizont zu erweitern.
Eine Portion anderer Input könnte nicht schaden
Das Saarland ist wirklich ein nettes Fleckchen. Was mir als erstes in den Sinn kommt, wenn ich ans Saarland denke: Hilfsbereitschaft, Unkompliziertheit, Einfach-Mit-Anpacken, gutes Essen (sehr viel davon), schöne Natur, coole Kulturszene in Saarbrücken. Aber wenn ich mich mit Leuten in meinem Alter unterhalte, die dort geblieben sind und nicht mal im Traum in Erwägung ziehen würden, dieses gemütliche Bundesland jemals zu verlassen, habe ich manchmal das Gefühl, dass eine Portion anderer Input nicht schaden könnte.
Nur ein Beispiel: Eine saarländische Frau, die mich mal bei Blablacar mitgenommen hat, etwa mein Alter, wusste nicht, was ein Meme ist. Soll natürlich nicht heißen, dass alle Saarländer:innen hinterm Mond leben, das möchte ich an der Stelle nochmal betonen. Das ist Bullshit. Aber sowas begegnet mir immer wieder in Gesprächen mit saarländischen jungen Menschen, die noch nie woanders gelebt haben. Pride Month, vom Standard abweichende Beziehungs- oder Ernährungskonzepte, mentale Gesundheit – viele haben zwar mal was davon gehört, aber so richtig damit beschäftigt haben sie sich nie.*
(Umgekehrt ist natürlich auch nicht cool. Einer meiner Freunde kommt aus der Großstadt und hat noch nie eine echte Kuh gesehen, finde ich auch problematisch.)
Gemütliches-Nest-Charakter
Ich bin gerne im Saarland zu Besuch, um meine Familie zu sehen. Und ich muss sagen, das Dorfleben, die Ruhe, die grüne Idylle und die Wälder sorgen bei jedem Besuch dafür, dass ich selbst etwas mehr zur Ruhe komme. Denn Großstadt kann schon auch anstrengend sein. Aber spätestens nach drei Tagen im Saarland fehlen mir der Trubel, die 25 Kölschsorten und sogar die langhaarigen Ballonhosen-Slackliner im Kölner Grüngürtel. Und Kemal, der Kioskbesitzer meines Vertrauens, der immer ganz verliebt meinen Hund anguckt. Vor allem aber die Gewissheit, dass immer irgendwo irgendwas geht. Wohingegen sich in dem saarländischen 120-Personen-Dorf vor dem Haus meiner Mutter eine Bushaltestelle mit einem Schild befindet, auf dem steht: „Fahrten finden nur nach telefonischer Voranmeldung statt.“

Aber mal ganz abgesehen von dem Gemütliches-Nest-Charakter des Saarlandes hat mir das Leben in verschiedenen Städten absolut dabei geholfen, mich selbst zu ergründen und zu challengen. Jedes Bundesland, jede Stadt hat eine ganz eigene Atmosphäre mit ganz eigenen Herausforderungen. Ist nur meine persönliche Meinung, aber ich würde jedem Menschen empfehlen, mal die eigene lokale Komfortzone zu verlassen, und wenn es nur für ein paar Monate ist.
*Wie immer gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel. Bitte nicht offended fühlen, hier ist nicht jede:r angesprochen.

Von Fee (28): Während Fee sich früher noch Kurzgeschichten über böse Punker ausgedacht hat, schreibt sie heute als Journalistin lieber Texte über die Gefühle ihrer Generation, über gesellschaftliche Missstände und inspirierende Menschen. Manchmal macht sie auch einen Fernsehbeitrag darüber. Ihr Mitbewohner sagt, sie wäre etwas zu vorwitzig und sollte weniger Fragen stellen, aber sie sieht das anders. Immer am Start: Empathie, der Wunsch, mehr von der Welt zu sehen und Hündin Martha.