Über Deutsche wird oft gesagt, sie leben in einer Neidkultur. Dass das vielleicht gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt ist, habe ich auch schon an mir selbst festgestellt – und mich für dieses Gefühl ganz schön geschämt. Schließlich steht Neid im gesellschaftlichen Sündenkatalog auch heute noch ganz weit oben. Aber wie sonst sollen wir Gönnen lernen, wenn wir nicht anfangen, auch über Neid zu sprechen?
Es ist einer dieser Sonntage, an dem die Sonnenstrahlen sich ungnädig ihren Weg an den Seitenrändern meiner Gardinen vorbei in mein Zimmer schlängeln – und ich undankbar den matschgrünen Stoff ein bisschen mehr zur Seite schiebe, damit ja kein Leben in meinen kleinen, nach Alkohol stinkenden Mikrokosmos dringt. Ich bin verkatert und absolut gewillt, mich für den Rest des Tages an einer Wasserflasche nuckelnd ins YouTube-Universum zurückzuziehen. Der Algorithmus hat mich fest im Griff und ich lasse mich grade von einer Interview-Reihe eines Musikmagazins mit verschiedenen Newcomerinnen berieseln – als ich merke, dass ich die auffällig gekleidete Frau mit den vielen Ketten kenne. Krass. Das ist tatsächlich eine ehemalige Mitschülerin von mir. Die ist jetzt also eine bekannte Sängerin. Ich wusste nicht mal, dass sie singen kann. Und während ich darüber nachdenke, gesellt sich zu dem ohnehin schon flauen Katermagen ein komisches, inneres Unwohlsein, das sich in meinem ganzen Körper ausbreitet.
Dieses hässliche Gefühl

Es ist das Gefühl, das mich manchmal überfällt, wenn ich mitbekomme, wie Menschen aus meinem (ehemaligen) Umfeld es scheinbar schon unendlich weit im Leben geschafft haben. Dabei ist es völlig egal, ob dieses „weit“ mit meiner persönlichen Definition des Adjektivs übereinstimmt. Sängerin will ich zumindest nicht werden. Mit dem, was ich mache, erfolgreich sein, aber schon. Und dass ich so unendlich weit davon entfernt zu sein scheine, während andere in meiner oberflächlichen Wahrnehmung einfach so mir nichts, dir nichts in ihren persönlichen Erfolg geslidet sind, gibt mir manchmal ziemlich schlechte vibes. Dieses Gefühl zu labeln und mir einzugestehen, dass ich ganz eventuell einfach nur neidisch bin, bringe ich selten übers Herz. Und bete, dass dieses hässliche Gefühl doch bloß weggehen möge.
Geboren in eine Alman-Nicht-Gönner-Gesellschaft
Neid ist überkomplex. Und es gibt sicherlich viele Gründe für missgünstige Gedanken – die bestimmt auch oft individuell sind. Dass sie bei mir nicht selten aus Unzufriedenheit mit mir selbst resultieren, weiß ich. Aber dass das Gefühl in meiner Magengegend oft überpräsent ist, schreibe ich auch unserer Gesellschaft zu. Neulich hat mir ein Bekannter erzählt, dass sein guter Freund sich nicht traut, seinen hart verdienten Porsche in der heimischen Garage abzustellen, weil er Angst vor den Reaktionen seiner Nachbar:innen hat. Er hat sich extra einen Stellplatz in einem anderen Viertel gemietet, um in seiner Straße den Schein des bescheidenen, mittelständischen Deutschen aufrechtzuerhalten. Und eigentlich bin ich absolut kein Fan von Pauschalisierungen ganzer Gesellschaften – aber was bitte ist ein Land, in dem den Vorzeitig-Geimpften in einer globalen Pandemie nicht gegönnt wird, früher in den Urlaub zu fliegen, bitte anderes als eine Nicht-Gönner Gesellschaft? Wir leben in einer Neidkultur, aber tun oft so, als wäre uns dieses Gefühl völlig fremd.
„Eher ist die doof als ich neidisch“
Dass das problematisch ist, zeigt nicht nur das Beispiel mit der Pandemie. Ich merke es an mir selbst, weil ich mit diesem blöden inneren Unwohlsein oft nicht umzugehen weiß. Weil ich mich nicht traue, vor Freund:innen, vor Kolleg:innen oder vielleicht sogar vor dem oder der Beneideten zuzugeben, dass ich dieses Gefühl in mir trage. Weil ich Angst habe, verurteilt zu werden, weil mir meine Umwelt suggeriert: Neidischsein ist ultra unsympathisch! Vor allem aber ist das problematisch, weil ich meine Gefühle dann im schlimmsten Fall sogar auf andere Menschen projiziere – und vielleicht sogar gemein, verbittert oder einfach blöd über die beneidete Person urteile. Einfach, weil ich alleine nicht mit dem Gefühl umzugehen weiß. Eher ist die doof als ich neidisch.
Neid auf Bierbänken
Neulich in der Heimat auf einem Geburtstag sitze ich auf einer der Bierbänke vor meiner ehemaligen Nachbarin, die ganz offensichtlich auch eingeladen wurde – und die ich bis dato absolut nicht leiden konnte. Ich fand ihre Art zu sprechen nervig und ich mochte nicht, wie sie lachte. Ich hatte schon oft mit Freund:innen durch ihren Instagram-Feed gescrollt und mich über ihre ein bisschen zu perfekt gezupften Augenbrauen und das ein bisschen zu weiße Lächeln aufgeregt. Am allernervigsten aber fand ich an ihr, dass sie fast drei Jahre jünger war als ich und trotzdem schon als Journalistin für ein großes Medienhaus arbeitete. Entsprechend abweisend reagiere ich auf ihre ersten Gesprächsversuche, bis das fünfte Glas Sekt mich dann doch zu einem Gespräch mit ihr hinreißen lässt. Und egal wie vorhersehbar oder überromantisiert der Ausgang dieser Geschichte für euch jetzt erscheinen mag, im Laufe des Gesprächs wird der unangenehme Druck im Magen von einem warmen Gefühl in meiner Brust abgelöst. Ich erfahre, wie hart sie für ihren Erfolg gearbeitet hat, dass sie unter chronischem Schlafmangel leidet und dass ihr Lachen eigentlich ziemlich ansteckend ist. Vor allem aber, dass sie eine Person ist, der ich das von Herzen gönne.
Neidisch sein, um zu gönnen
Neidisch sein, heißt natürlich nicht immer zwangsläufig, dass man jemandem etwas nicht gönnt. Und natürlich sind die Formen von Neid so vielfältig wie die Gründe dafür: Egal, ob es die seidig-glänzenden, splissfreien Haare der Kommilitonin sind, die scheinbar dauerharmonische, immer aufregende Beziehung des Nachbarpärchens oder der Instagram-Erfolg der kleinen Schwester. Meinetwegen auch der Porsche des Nachbarn. Aber vielleicht, wenn wir dem komische Gefühl in der Magengegend zuhören, es mit anderen teilen und aufhören, Neid als Todsünde zu stigmatisieren, können wir es auch wieder beiseite schieben, ganz unaufgeregt – und es fällt uns leichter, einfach zu gönnen.
Motor der Motivation
Trotzdem ist Neid natürlich kein schönes Gefühl – und ziemlich oft würde ich lieber darauf verzichten. Manchmal ist Neid aber auch sinnvoll oder sogar hilfreich. Zum Beispiel, wenn ich aus dem Gefühl Motivation schöpfe. Und auch in der Gesellschaft kann Neid eine wichtige Funktion erfüllen: Wenn der Arbeitskollege beispielsweise für die gleiche Position im gleichen Unternehmen mehr Geld bekommt als seine weibliche Arbeitskollegin – und diese dann neidisch ist. Neid weist auch immer auf ein Gefälle hin und hat das Potential, Missstände aufzudecken. Neid kann Motor und Motivator sein – vielleicht auch dafür, dass wir uns von einer Neidkultur hin zu einer Gönnerkultur entwickeln.

Von Alex (25): Alex schreibt am liebsten über Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse, nachdem sie ihre eigenen Gossip Girl-Romane hinter sich gelassen hat. Sie hat es drauf, so zu schreiben, dass man sich abgeholt fühlt und relatet, obwohl man vorher vielleicht nicht wusste, dass man das gefühlt hat; geschweige denn, wie man es hätte ausdrücken sollen. Mit ihrer ansteckenden guten Laune ist sie ein richtiger Herzensmensch, der fantastische Rotwein-Spaghetti zaubern kann.