Wir tauchen nochmal ab – in das Hinterland einer kleinen magischen Insel auf einer kleinen magischen Reise. Ein Abenteuer mit vielen Hürden, Gefühlen und Überraschungen. Ein Abenteuer, auf dem ich viel gelernt habe, über meine eigenen Unsicherheiten und intensive Intensitäten. Außerdem: über die Lehre des Flows, von dem ich absolut überzeugt bin. Und die neu aufgekeimte Wut über den Konjunktiv.
Auf dieser kleinen besagten Reise war ich schüchterner als sonst. Und unsicherer. Diese unausweichliche, eigentlich so bezaubernde Sache, der man auf Reisen irgendwie nie so ganz entkommt – neue Menschen kennenlernen – fühlte sich plötzlich an wie: Berechnen Sie f(x) = -3x³ (x+2) hoch 100. Für mich unlösbar und ein bisschen beängstigend. Das Witzige an der Situation war: Meinen beiden liebenswürdigen Begleitungen gings genauso. Wir haben sage und schreibe 3 Stress-Kippen auf dem Bürgersteig geraucht, bevor wir uns getraut haben, das erste Hostel zu betreten. Als wir gehört haben, dass „heute Abend eine Party ist, zu der dann alle zusammen gehen“ waren wir dann ungefähr kurz vor Panikattacke. Die Frage, was genau unsere Herzen in diesem Moment so unendlich schwer gemacht hat, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Gedanken wanderten umher, irgendwo zwischen Sind wir cool genug? Wie geht man nochmal auf Menschen zu? und Warte mal – Will ich überhaupt mit so vielen fremden Menschen chillen?
Warum sind wir plötzlich so shy?
Mit ein bisschen Distanz wirken diese Unsicherheiten irgendwie fast schon lächerlich. Jede:r Mensch ist cool genug, um auf eine Party zu gehen, geschweige denn ein Hostel zu betreten. Und dass diese Ängste nur in unseren Köpfen existieren und selten mit der Außenwirkung einer Person zusammenhängen, weiß ich ja eigentlich auch. Na ja, wie auch immer – wir kamen auf jeden Fall nur so semi klar. Haben dann die Rucksäcke im Zimmer abgelegt, uns angeguckt, hysterisch angefangen zu lachen und uns gefragt: Leute, warum zum Teufel sind wir plötzlich so shy? Wir waren einfach der felsenfesten Überzeugung, wir wären alle drei – gefühlt über Nacht – zu total unbeholfenen Weirdos geworden, die sich nicht einmal mehr trauen, den Mann am Herd nach Salz zu fragen. Diese Feststellung war schon irgendwie beunruhigend, aber auch unendlich lustig. Wir mussten so viel darüber lachen, dass es irgendwann schon gar nicht mehr so schlimm war.

Kleiner Spoiler: Wir haben unsere alten Ichs dann doch relativ schnell wiedergefunden. Aber im Laufe der Zeit kamen immer mehr Reizüberflutungen dazu, die ich so noch nicht kannte. Warum bin ich so maximal überladen mit Glücksgefühlen, wenn ich mit vielen Menschen auf einem Haufen sitze? Warum spüre ich gleichzeitig aber social anxieties, die ich bisher nie hatte? Warum bin ich so sensibel und warum hab ich eine so verquere Zeitwahrnehmung? Und warum fühlt sich Freiheit so intensiv an?
Ich weiß, ich weiß – die Lösung liegt ganz nah. Es könnte daran liegen, dass Reisen die letzten zwei Jahre kompliziert as fuck bis hin zu kaum möglich war. Daran, dass ich zwei Jahre kaum neue Leute kennengelernt habe. Keine neuen Orte gesehen habe. Distanz die neue Maxime war. Daran, dass ich zwei Jahre nur in meiner Bubble verkehrt bin und überhaupt nicht die Möglichkeit hatte, mal ein bisschen Welt reinzulassen. Weil sich diese ganze Scheiße so tief in unser tiefstes Inneres eingebrannt hat. So tief, dass eben auch eine scheinbare Normalität noch nicht ganz normal ist.
WIR BRAUCHEN MEHR FLOW
Wisst ihr, was wir auch verlernt haben? Spontan sein.
Die ersten drei Tage dieser Reise haben wir noch versucht, Dinge zu planen. Hier das Leihauto abholen, dort wandern, aber danach gleich zu diesem Lost Place. Ahh, aber am Donnerstag ist das Wetter schön, dann doch lieber anders. Aber Mist, da müssen wir auschecken und wohin dann mit den Rucksäcken?! Ich will nicht lügen – nicht alles ist schief gegangen. Aber einiges. An Tag 4 haben wir komplett aufgehört, Pläne zu machen. Irgendwie haben wir es geschafft, die Dinge so anzunehmen, wie sie uns entgegen gerollt kamen. Und ganz plötzlich war so viel Leichtigkeit in der Luft wie den ganzen Urlaub noch nicht. Alles ist in einen einzigen Flow übergegangen. Menschen und Dinge sind passiert, haben sich irgendwie ergänzt und gegenseitig harmonisiert. Plötzlich haben wir intuitiv gefühlt, was jetzt richtig ist und was nicht. Haben nicht mehr das Wetter bestimmen lassen, was wir machen, sondern unsere Laune.
Aber wen wunderts? Niemand konnte der neuen Planungsnotwendigkeit der letzten beiden Jahre aus dem Weg gehen. Bevor wir eine Bar betreten durften, musste sich erst mal die ganze Gruppe am Testzentrum treffen, 40 Minuten anstehen, Maske, Impfpass, Negativtest. Ausweis vergessen? – Ja, das war ganz spontan – dann Pech gehabt. Also ja – es ist vollkommen logisch, dass es gerade jetzt nicht leicht fällt, im Flow zu leben. Weil die fucking Welt eben einfach nicht im Flow war.
Ich bin überzeugt – das ist es, was jede gesunde Psyche zwischendurch braucht: eine dicke Portion Planlosigkeit. Wir Deutschen sind sowieso nicht die besten im Spontansein, erst recht nicht im terminlos sein. Vielleicht sind wir auch gerade deshalb alle so kaputt. Ich würde gerne ein neues Gesetz einführen: Jede:r Bürger:in ist dazu verpflichtet, einmal pro Woche terminlos zu sein (auch keine Freizeit-Termine). Rausgehen, sich treiben lassen und der magische Flow erledigt den Rest.
Nieder mit dem Konjunktiv!
Ihr seht schon – ich rede viel von diesem besagten Tag 4. Aber Tag 4 war es auch, an dem uns aufgefallen ist, dass unsere Konjunktiv-Nutzung vollkommen gestört ist. Vielleicht hätten wir die Vulkan-Tour doch heute machen sollen. Es wäre viel praktischer, wenn wir nicht aus dem Norden, sondern aus dem Süden fliegen würden. Ich würde so gerne Remote arbeiten. Wir hätten mal den früheren Bus nehmen sollen. Omg. So viel hätte, würde, könnte, müsste, sollte. Hilfe. Wem bringt dieser scheiß Konjunktiv denn irgendwas?
Am selben Tag liegen wir an einem menschenleeren Strand. Die Frau, die mit uns ist, kniet vor ihrem Laptop und kommentiert diesen Sachverhalt nur mit: Ich könnte auch darüber jammern, dass ich keinen Bock auf Arbeiten habe und viel lieber mit euch chillen würde. Aber stattdessen sage ich mir: Du hast das Glück auf dieser wunderschönen Insel zu sein und von hier aus arbeiten zu können.
Diesen Worten habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Also in diesem Sinne: Nieder mit dem Konjunktiv! Übrigens: Als der Flow begonnen hat, ist auch der Konjunktiv weniger geworden. Genau wie unsere Unsicherheiten.
Ich klinge, als wäre ich Buddha in Person, als wäre ich jetzt nur noch ultra gechillt und endlich erleuchtet. Und so klinge ich, während ich hier sitze und schreibe. Es ist 19.34 Uhr, um 20 Uhr bin ich verabredet und ich denke: Ich würde jetzt wirklich gerne nochmal nappen. Ich bin also nicht erleuchtet, aber es ist trotzdem geil über meine eigenen „hätte-würde-könnte“-Habits zu lästern. Je öfter ich das mache, desto mehr nerven sie mich. Und das ist super. Denn umso öfter kommen die Momente, in denen ich meinen Laptop zuknalle und mir sage: Ich würde jetzt gerne, also mach ich.

Von Lilly (25): Lilly ist Fan von jordanischem Kaffee und ein absoluter Gefühlsmensch, der unglaublich viel Liebe und Empathie für seine Mitmenschen aufbringen kann. Dass so viel Empfindsamkeit auch ziemlich anstrengend sein kann, davon erzählt sie in ihren Texten – die oft von Liebe, Gefühlen und Zwischenmenschlichem handeln. Oder von der großen, weiten Welt, von der sie nicht genug bekommen kann.
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