Kleine Pausen in den Alltag einbauen und sich bewusst Zeit für sich selbst nehmen, um die leeren Akkus aufzutanken und den inneren Frieden wieder herzustellen. Eine romantische Vorstellung. Bei mir allerdings löst sie blanke Panik aus.
Me Time – ein Begriff, um den ich gegenwärtig bei meinen täglichen Streifzügen durch die Weiten des Internets nicht herumkomme. Me Time – das ist Zeit, die man mit sich selbst verbringt. Zeit zum Innehalten, Durchatmen, in der man das Rauschen der Welt auf stumm schaltet, um Körper und Seele in Einklang zu bringen.
So viel zur Theorie. Für mich ist Me Time nämlich leider nicht mehr als ein Modewort – wie Digital Detox oder Body Positivity – bei dem ich die Lettern zwar mit Bedeutung, aber nicht mit Inhalt füllen kann. Tatsächlich nämlich bin ich außerordentlich schlecht darin, Zeit mit mir selbst zu verbringen – und qualitativ ist da meistens auch eher wenig rauszuholen. Das liegt nicht daran, dass ich nicht gerne lese, ausgiebig koche oder in der Badewanne den Schaumblasen beim Wabern zusehe. Schuld ist so ein komisches Gefühl, das laut wird, sobald es um mich herum leise ist. Und dieses Gefühl impliziert ein latent schlechtes Gewissen, nicht produktiv genug zu sein.
Mein letzter Versuch jedenfalls, einen Sonntag entspannt Zeit mit mir selbst zu verbringen, ist kläglich in die Hose gegangen. Nachdem ich sorgsam alle Vorbereitungen getroffen und meine wöchentlichen, scheinbar relevanten Verpflichtungen schon Tage vorher erledigt hatte, war es endlich soweit: Nach dem Aufwachen bin ich zum Kaffee kochen in die Küche geschlurft und hab mich anschließend zurück in mein Bett gelegt, um endlich dieses Buch weiterzulesen, welches mich jeden Abend anklagend vom Nachtisch aus anstarrt. Mal abgesehen davon, dass ich unfähig bin, Kaffee im Bett zu trinken, ohne nur wenigstens einen braunen Flecken auf meinem Laken zu hinterlassen, hat mich schon nach 20 Minuten dieses komische Gefühl in meinem Magen gepackt.

Vielleicht ist es der Text, den ich noch für das Seminar lesen könnte, um weniger dilettantisch an der nächsten Sitzung teilzunehmen. Vielleicht ist es das Thema der Masterarbeit, über das ich doch langsam mal nachdenken könnte. Oder der Praktikumsplatz, den ich so dringend brauche und der so sorgsam gewählt sein muss, dass er zur beruflichen Schicksalsbegegnung wird. Vielleicht ist es einfach die Zukunft, die doch so dringend vorbereitet werden muss. Immer und jederzeit. Weil es doch sonst nichts wird. Jede freie Minute kann und muss genutzt werden.
Zwischen Leistungsdruck und Selbstverwirklichung
Und das Gefühl in mir wurde zu Unruhe. Und auf die Unruhe folgte sowas wie Panik. Aus dem Märchen der Me Time für mich eine Märe – und ich fand mich den Rest des Tages am Schreibtisch wieder – wo ich halb konzentriert und halb deprimiert nach Praktikumsplätzen googlete.
Es ist nichts Neues, wenn ich jetzt von einem permanenten gesellschaftlichen Leistungsdruck erzähle. Von einer Welt, in der das Cover der Forbes aussieht wie das Klassenbuchfoto von Max Meier aus der 9C – weil wieder irgendein 18-Jähriger durch irgendein Start-Up zum Selfmade-Millionär geworden ist. Von einer Welt, in der uns durch alle Kanäle hinweg permanent eingebläut wird, dass wir besonders sein müssen. Besonders leistungsstark. Weil wir es nur zu etwas schaffen, wenn wir uns selbst verwirklichen. Wie das aussehen mag, dafür gibt es keinen Leitfaden. Me Time jedenfalls passt für mich nicht ins Bild.
Und gewiss, wer etwas schaffen will, der muss etwas tun. Fleiß, Arbeit, Disziplin – alles zweifelsohne wichtige Tugenden, die in einer untrennbaren Symbiose mit Produktivität stehen. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass auch Me Time unfassbar produktiv sein kann – wenn wir aufhören Produktivität an den falschen Standards zu messen. Nicht umsonst tummeln sich Achtsamkeits-Ratgeber auf den Amazon-Bestenlisten und der Online-Content von Yoga-Gurus und Therapeut:innen ist so beliebt wie nie. Sie alle wissen und predigen es: Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, weiß, wie es um das Innere bestellt ist und ohne schlechtes Gewissen Zeit mit sich verbringen kann, kann wirklich hundertprozentig effektiv arbeiten.
Ein weiteres Paradoxon, dass sich zu meinem Leben gesellt.

Von Alex (24): Alex schreibt am liebsten über Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse, nachdem sie ihre eigenen Gossip Girl-Romane hinter sich gelassen hat. Sie hat es drauf, so zu schreiben, dass man sich abgeholt fühlt und relatet, obwohl man vorher vielleicht nicht wusste, dass man das gefühlt hat; geschweige denn, wie man es hätte ausdrücken sollen. Mit ihrer ansteckenden guten Laune ist sie ein richtiger Herzensmensch, der fantastische Rotwein-Spaghetti zaubern kann.
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