Zu Teenager-Zeiten wurde mir und meiner Generation vorgeworfen, dass wir politikverdrossen wären. Das scheint heute anders zu sein: Auf Instagram tauschen wir schon lange nicht mehr nur soziale Kontakte und bearbeitete Bilder aus. Es geht um Meinungen. Politik. Aktivismus. Eine Entwicklung, die viel Positives bewirkt hat und die mir trotzdem irgendwann zu heiß wurde.
Meine Oma hat einmal zu mir gesagt „Wenn zu den ganzen Fridays-For-Future-Demos niemand ein Smartphone mitbringen dürfte, dann würde auch niemand kommen!“ Damit hat sie recht, aber was sie dabei übersehen hat: Ohne Social Media hätten diese und auch andere Bewegungen niemals so schnell so groß und damit auch gehört werden können.
Instagram hat sich und mich verändert
Schließlich ist Instagram (neben Twitter) mittlerweile das politische Meinungsmedium schlechthin. Wir folgen nicht mehr nur durchtrainierten Frauen, die jede Woche ihre Poké-Bowl plus „Outfit of the day“ in irgendeiner anderen Metropole ablichten. Wir folgen jetzt auch Persönlichkeiten, die sich zu bestimmten Themen positionieren und darüber aufklären. Influencer*innen, deren Meinung wir nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch in unseren Insta-Storys teilen.
Plötzlich waren überall Red Flags
Aber vor einer Weile ist mir etwas am Instagram-Aktivismus aufgefallen: Ich hatte Weltschmerz, denn überall habe ich Red Flags wehen sehen: politische Unkorrektheiten und Diskriminierungen, sexistische und rassistische Wortwahl, umweltschädliches Verhalten. Ich verspürte eine irre Wut gepaart mit lähmender Hilflosigkeit und kam deshalb aus dem Zetern und Reposten gar nicht mehr heraus. Das ging dann so weit, dass ich meinen Frust auch in sämtlichen „realen“ Lebenssituationen kundtat, gefragt sowie ungefragt. Zum Beispiel bei Familien-Besuchen. Ich ertappte mich dabei, wie ich meinen Verwandten fast nicht verzeihen konnte, dass sie nicht wussten, was denn „nun so schlimm daran sei“ jemanden zu fragen, wo er*sie WiRkLiCh herkomme. Dabei hatte ich mir selbst das ‚Wissen‘ zu diesem Thema erst zwei Tage vorher, aus einem fliederfarbenen 4-Slide-Post mit dem Titel „Das musst du über Rassismus wissen“, angeeignet. Aber ich hatte die Weisheit ja jetzt durch die Blaulicht-Strahlen meines Smartphones absorbiert.
Reflektionsleistung gleich Null
Eher zufällig wurde mir irgendwann klar: Nicht nur habe ich all meine Informationen aus Instagram bezogen, ich habe auch die Aussagen der Influencer*innen blind nachgeplappert. Ohne irgendetwas davon zu hinterfragen und zu reflektieren. Und ohne mich selbständig „seriös“ zu informieren. Ich habe naiv darauf vertraut, was eine mir ansonsten fremde Frau auf ihrem Sofa liegend, im Selfie-Modus in ihre Insta-Story geranted hat.

Versteht mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, dass diese politischen Meinungs-Postings auf Instagram grundsätzlich falsch oder schlecht sind. Nur werden sie einfach in den Raum geworfen, ohne dabei von irgendeiner Instanz eingeordnet zu werden. Natürlich hat das wiederum auch etwas Gutes: Menschen und Themen haben durch Instagram eine Plattform bekommen, die sie vielleicht ansonsten nicht bekommen hätten.
Trotzdem stört mich, dass wir uns den ganzen Tag über all das Schlimme in der Welt aufregen und dann meinen, wir könnten etwas verändern indem wir Insta-Postings teilen. Denn: Sind wir wirklich so „woke“, wenn wir einfach die Meinung von ein paar Influencer*innen copy-pasten und denken, dass wir dann unseren Teil getan haben? Erreichen wir damit nicht auch wieder nur die, die sich in derselben politischen Bubble bewegen? Die unsere Meinung sogar teilen und sich nun aber unter Druck gesetzt fühlen, den gleichen „Aktivismus“ zu betreiben?
Instagram als Schaumbad
Vielmehr habe ich das Gefühl, unsere politischen Blubberblasen werden immer starrer und verspiegelter. Wir blicken gar nicht mehr aus unserer eigenen Blase heraus und wirklich zu den anderen Blasen hinein. Zu sehr sind wir damit beschäftigt, Meinungen in unseren eigenen Blasen zu versenden, die es nur selten über die Grenzen hinweg schaffen. Sie prallen einfach an den immer dicker werdenden Spiegelwänden ab – ohne einen Austausch zu erreichen, der vielleicht wirklich etwas verändern könnte. So taumeln wir immer weiter auseinander…
Neujahrsvorsatz: Geister-Account
Die bis dato wohlig-warme Instagram-Badewanne wurde mir also einfach zu heiß – ich musste raus, mich abkühlen. Ich habe die App gelöscht und angefangen, mir Informationen über andere Apps, Kanäle und Podcasts (funk, Lage der Nation, Tagesschau, Zeit-Online) einzuholen. Mein Account ist dadurch zu einem Geister-Account mutiert: Ich habe mittlerweile seit über einem Jahr weder Politisches noch Privates gepostet und ehrlich gesagt auch kein Bedürfnis mehr danach. Doch ob das langfristig die Lösung ist?
Ein neues Level an Perfektionsstreben
Mit dieser Abkühlung wurde mir zumindest eines klar: Ich habe durch Instagram mein politisches Interesse geweckt und vieles dazugelernt. Aber gleichzeitig habe ich auch eine neue Art der Politikverdrossenheit entwickelt und keinerlei Grauzonen mehr zugelassen.
Ja, natürlich: Es gibt viele Missstände auf der Welt, aber kein Mensch ist perfekt. Instagram hat komischerweise ein neues Level an Perfektionsstreben erreicht – eine Politische Perfektheit. Wir haben bereits gelernt, dass der Schönheitswahn auf Instagram nicht die Realität abbildet und, dass er reflektiert werden sollte – vielleicht sollten wir das nun auch hiermit tun…

Von Chiara (24): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.