Die Suche nach dem Erwachsenwerden

Als Kind habe ich gedacht, dass irgendwann in meinem Leben sowas wie ein Kipppunkt kommt, an dem ich mich urplötzlich ganz doll erwachsen fühle. Verortet habe ich diesen magic moment irgendwo an den Anfang meiner Zwanziger. Mittlerweile bin ich Mitte 20. Und surprise: gekippt ist da immer noch nichts. Und langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich vielleicht einfach mal meine Vorstellung vom Erwachsensein kippen sollte. 


Wenn ich früher mit meinen Eltern in eine Videothek gegangen bin, um für meine Samstagabendbeschäftigung einen Film auszuleihen, hat der kauzige, weißbärtige Ladenbesitzer das eine oder andere Mal Freaky Friday über die Ladentheke reichen müssen. Die trashige Komödie fand ich damals in vielerlei Hinsicht ziemlich faszinierend. Zum einen, weil ich Lindsay Lohan als 10-Jährige regelrecht angehimmelt habe und zum anderen, weil der Film für mich das beeindruckende Sinnbild der beiden Pole „Erwachsene“ und „Kinder“ darstellte. Ähnlich einfältig war auch meine Vorstellung davon, wie diese Transformation von „klein“ zu „groß“ dann später vonstatten gehen würde. Es macht einfach irgendwann klick – und plötzlich ist alles anders. Dann sieht man wie Lindsay in Freaky Friday nicht nur aus wie eine erwachsene Person, sondern fühlt sich auch noch genau so. 

Aber wie genau fühlt sich dieses “Erwachsensein” denn eigentlich an? 

Finanzen, Kuscheltiere und der Aktienmarkt

„Und wenn es dann so klick gemacht hat und ich mich erwachsen fühle, dann weiß ich wie der Hase läuft: Ich raffe, was eine Steuererklärung ist und wie man sie frist- und ordnungsgerecht abgibt. Ich checke, wie der Aktien- und Finanzmarkt funktioniert und wie eine saubere Kontoführung aussieht. Dann kommt auch der Zeitpunkt, an dem ich keine Angst mehr habe, allein zu verreisen oder der Frisörin zu sagen, dass mir die Frisur eigentlich nicht so gut gefällt. Dann schmeiße ich alle meine Kuscheltiere aus dem Bett, finde es absolut nicht mehr gruselig, wenn es nachts draußen blitzt und donnert und bin allein im Auto auf der Autobahn die selbstsicherste Person überhaupt. Ich habe dann eine realistische Vorstellung davon, wie das Leben funktioniert und natürlich was mein Plan darin ist.“

Hätte man mich als Kind gefragt, wäre das ganz sicher meine Vorstellung vom Erwachsensein gewesen. Und hätte man mich gefragt, wann das denn alles so eintreffen würde, hätte ich ganz schwer auf Anfang 20 getippt. Schließlich kam mir mein studierender Bruder schon mit 19 furchtbar erwachsen vor. Mit 20 ziehen Menschen plötzlich ganz allein in fremde Städte, führen ernsthafte Partnerschaften, verdienen Geld und schließen Bausparverträge ab (weiß ich btw. immer noch nicht, was das genau sein soll). Dann kriegen sie Kinder, gründen Firmen und fangen an, sich Botox in die Stirn spritzen zu lassen. Ja, ich kenne Leute, die das mit Mitte 20 schon gemacht haben. Erwachsensein ist eben nicht nur ein innerer, sondern auch ein äußerer Prozess. Und wenn Botox, Bausparverträge und Firmengründungen nicht erwachsen sind, zur Hölle, dann weiß ich wirklich nicht, was Erwachsensein eigentlich ist.  

Ein Kind mit Ostereiern im Koffer

Ich, 26, sitze allein im Zug auf dem Weg zurück nach Köln. Neben mir steht ein Koffer voller Osterschokolade, die ich in unserem Wohnzimmer gesucht habe. Ja, ich find das immer noch aufregend, unterm Sofa im Staub zu wühlen und dann den Lindt-Hasen wie den Phoenix aus der Asche emporzuheben. Heute bin ich allerdings einfach nur müde und ziemlich geplättet. In meinem Kopf schwirren tausend Gedanken und ich bin voller Ehrfurcht vor all den Dingen, die gerade vor mir liegen – und die ich bei meinem einwöchigen Homecoming erfolgreich von mir wegschieben konnte: Masterarbeit, Job, Steuererklärung, Wohnungssuche. Vor mir liegt ein Haufen voller Erwachsenendinge, von denen ich keinen Plan habe, wie ich sie alle bewerkstelligen soll. Und das Gefühl, so viel Verantwortung zu tragen, gibt mir ein beklemmendes Gefühl. Am liebsten würde ich gerade wieder umdrehen, mich auf die viel zu harte Gästecouch meiner Eltern legen und Freaky Friday gucken. Ich fühle mich kindisch und denke an Lindsay Lohan, die ja mittlerweile auch eine erwachsene Person ist. Toll find ich die mittlerweile nicht mehr. Und so richtig im Griff hat die ihr Leben ja irgendwie auch nicht. Macht sie das weniger erwachsen? Nein. Und mich leider auch nicht. Also wann zur Hölle fühl ich‘s denn endlich? 

Natürlich ist die Sache mit dem Erwachsensein-Kipppunkt eine kindische Vorstellung – an der ich aber irgendwie trotzdem gerne festhalte. Weil sie bedeuten würde, dass der Punkt vielleicht noch kommt. Dass ich irgendwann so eine Sicherheit in mir habe und lauter Dinge verstehe und mache, die für mich immer noch ein riesiges Fragezeichen sind. Wenn ich ehrlich zu mir bin, dann weiß ich, dass ich noch lange nicht so weit bin. Und trotzdem weiß ich auch, dass ich dafür in vielen Dingen doch schon ziemlich erwachsen bin: Ich führe eine stabile Beziehung, habe einen Bachelor und (fast) einen Master, hab einen Blog gegründet, arbeite seit zwei Jahren im gleichen Unternehmen und bin gerade kurz davor, meine erste Steuererklärung abzugeben. Ich trage ziemlich viel Verantwortung und diese Verantwortung zwingt mich ständig dazu, erwachsene Dinge zu tun. Und vielleicht bedeutet auch genau das Erwachsensein. Dann sind wir eben doch alle ein Leben lang nur große Kinder.  

What is „Erwachsensein“

Ich glaube, ich habe so lange auf meinen ominösen Freaky Friday-Moment gewartet, weil ich Erwachsensein an den falschen Standards gemessen habe. Weil ich Aktien oder Immobilien mit Erwachsensein verwechselt habe. Das macht Menschen nicht erwachsen. Höchstens reicher. Ich habe gedacht, dass Erwachsensein bedeutet, keine Angst vor fremden Situationen, Lebensphasen oder Ereignissen zu habe. Aber natürlich ist das Quatsch. Erwachsen ist es, die Dinge trotzdem zu tun. Auch mit kindischer Angst im Bauch und tausend Fragezeichen im Kopf. Und wenn ich da so drüber nachdenken, dann ist das eigentlich auch okay. Weil ich das Kind in mir sowieso niemals aufgeben will. 


Von Alex (26): Alex schreibt am liebsten über Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse, nachdem sie ihre eigenen Gossip Girl-Romane hinter sich gelassen hat. Sie hat es drauf, so zu schreiben, dass man sich abgeholt fühlt und relatet, obwohl man vorher vielleicht nicht wusste, dass man das gefühlt hat; geschweige denn, wie man es hätte ausdrücken sollen. Mit ihrer ansteckenden guten Laune ist sie ein richtiger Herzensmensch, der fantastische Rotwein-Spaghetti zaubern kann.

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