Das ewige Trauerspiel vom Entscheidungen fällen

Ich glaube, ich laufe in meinen Texten häufig Gefahr, als ziemlich hobbylose Möchtegern-Philosophin entlarvt zu werden. Und auch heute gebe ich euch wieder jede Menge Stoff dafür: Es geht um den Sinn des Lebens (lol). Zumindest im weitesten Sinne. Eigentlich geht es vielmehr um die innere Verwirrung und all die Entscheidungen, die damit einhergehen. Es gibt die großen Entscheidungen, die einem Angst machen und dann noch die ganzen kleinen Alltags-Entscheidungen, die mir einfach vollkommen auf den Sack gehen … und meinen eh schon verwirrten Grundzustand nur noch mehr verwirren.


Ich hab mal geträumt, ich bin ein Oktopus mit langen blonden Haaren, der verwirrt umherschwimmt und nicht weiß, mit welchem seiner vielen Arme er seine Haare bürsten soll. Acht Arme, neun Gehirne, drei Herzen. Die Auswahl ist einfach zu groß. Man könnte jetzt argumentieren, dass es am Ende ja eigentlich vollkommen irrelevant ist, welcher Arm nun die Haare bürstet. Aber genau das ist ja so oft das Problem: Es ist eben so scheißegal, dass es die Entscheidung auch nicht leichter macht. Und auch wenn Oktopusse dieses Problem vermutlich überhaupt nicht haben, weil sie A) keine Haare haben, B) einfach instinktiv handeln und C) wahrscheinlich total abfeiern, dass sie ihren ganzen Fischkolleg:innen so voraus sind, bin ich trotzdem unendlich glücklich darüber, nicht eine so große Auswahl an Gliedmaßen zu haben.

Und was nimmst du so?

Ich bin überdurchschnittlich schlecht darin, Alltags-Entscheidungen zu treffen. Ich komme einfach nicht klar in diesem Meer an Möglichkeiten: Mate oder Cola? Ähmmmm. Pils oder Kölsch? Ist mir egal. Parkbank oder Wiese? Muss ich erst mal abwägen. Sushi, Pizza oder Thai? ICH HAB VERDAMMT NOCHMAL KEINE AHNUNG, WAS ICH MÖCHTE. 

An dieser Stelle eine Weisheit aus Alex wertvoller Sprüche-Sammlung: „Alle unwichtigen Entscheidungen im Leben sollten einer Münze überlassen werden!“ Und ich muss sagen, ich lebe tatsächlich nach diesem Motto. Oder: Ich greife im Kiosk einfach zu dem Getränk, das meine Begleitung auch nimmt, im Restaurant frage ich die Bedienung, was sie mir empfehlen kann, in der Eisdiele will ich von meiner Begleitung überrascht werden und in der Netflix-Welt ziehe ich mir einfach so lange imdb-Bewertungen rein, bis ich irgendwann müde den Laptop zuknalle. 

Ich finde es mühsam und auch ein bisschen unnötig, dass ich mich ständig mit so nervigen Entscheidungen herumschlagen muss. Außerdem: Die Tatsache, dass es immer eine so große Auswahl gibt, macht die Angst, sich für das Falsche zu entscheiden, einfach viel zu groß. Wenn ich mich nämlich für Salat A entscheide, heißt das gleichzeitig, dass ich mich GEGEN Salat B, C und D entscheiden muss. Und das auch noch am laufenden Bande: Filme, Züge, Speisekarten, Bücher, Partys, Praktika, Yogastudios, Schuhmarken … anstrengend. Und verwirrend. 

Ich persönlich gehe am liebsten in Restaurants, in denen es drei Gerichte gibt, in kleine Kinos, in denen zwei Filme laufen oder in Boutiquen, in denen es nicht 99 Mal dasselbe weiße Shirt mit unterschiedlich langen Ärmeln gibt. 

Ein Haufen völlig verwirrter Lebewesen

Jetzt ist die große Frage, die sich mir stellt: Warum? Warum bin ich so außerordentlich schlecht darin, Entscheidungen zu treffen? Und warum spüre ich ständig eine so große Verwirrung in mir, wenn ich über Entscheidungen nachdenke? 

Ich habe mir drei Erklärungen zurechtgelegt, von denen zwei meiner Meinung nach auch Sinn ergeben. Erstens: Ich bin ein Mensch. Zweitens: Ich bin ein Kind der Generation Why. Und drittens: Ich bin einfach ich. 

Starten wir mit Punkt Nummer Eins:

Dass Menschen allesamt total verwirrt sind, das habe ich in einer sternenklaren Nacht in der palästinensischen Wüste gelernt. Wenn man tagtäglich in einem Land aufwacht, in dem Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung stehen, sind Kopf und Herz einfach pausenlos am kurbeln. In dieser besagten Nacht, als ich da so unter dem Sternenhimmel lag, sind viele konfuse Gefühle in mir chaotisch durch die Gegend geflogen: Gedanken zu meinen eigenen Privilegien, Fragen von Schuld, Verantwortung und Dankbarkeit. Um es kurz zu sagen: Irgendwann war da nur noch tiefliegende Verwirrung.

 „Ist doch okay. Menschen sind einfach von Natur aus völlig verwirrte Lebewesen“, sagt ein Freund daraufhin. Wir Menschen stolpern von Jahr zu Jahr durch die Gegend, taumeln, rennen, warten ab, laufen irgendwo dagegen, fallen und stolpern weiter, immer auf der Suche nach irgendetwas. Wir sind viel zu schlau, um einfach nur zu essen, zu vögeln und zu schlafen. Aber eben auch ein bisschen zu dumm, um mit den ganzen Möglichkeiten umzugehen, die uns in dieser Welt offenstehen. Liebe, Sinn und Selbstverwirklichung, Lernen und Entdecken, Unterscheidung von Gut und Böse, Empathie und klare Kommunikation… alles Dinge, die rein theoretisch machbar für uns Menschen wären, mit denen wir aber gnadenlos überfordert sind, weil wir nie eine Anleitung dafür bekommen haben.

Was ist denn nun der Sinn dieses verdammten Lebens? Wer will ich sein? Wie liebt man eigentlich und wen, und ab wann ist es Liebe? Wie funktionieren eigentlich Gefühle? Mein Körper? Reden? Ehrlich sein? Und zu allem Überfluss: Welche Entscheidungen sind denn nun die richtigen? 

Ich persönlich wünsche mir in verwirrten Situationen nichts mehr als ein allwissendes Orakel, das mir sagt, was zu tun ist, das einfach immer weiß, was am besten für mich und die Welt ist (ich stelle mir dabei immer Momos Kassiopeia vor). 

Kind einer (generationslosen) Generation

Jetzt kommt zu diesem mühsamen Zustand des nichtwissenden Mensch-Seins nun auch noch die Tatsache hinzu, dass ich ein 97er-Kind bin. Und das ist dahingehend problematisch, dass Mid-Neunziger laut Generationsforschung angeblich die lostesten aller losten Lebewesen sind. Zumindest interpretiere ich das so. Aber ist ja auch klar – ich bin ein verwirrter Mensch – und verwirrte Menschen nehmen einfache, sinngebende Erklärungen dankend an. 

Die Kinder des Jahres 1997 jedenfalls: Laut Definition nur noch so halbwegs Generation Y (Millennials), aber auch noch nicht so ganz Generation Z. Ein bisschen Digital Natives, aber nicht so ganz. Ein bisschen Fridays for Future, aber eben nicht so ganz. Politisches sowie nachhaltiges Bewusstsein sind wichtig – aber nicht Priorität. Psychische sowie physische Achtsamkeit kriegen Raum – aber nicht genug. Manche nennen uns auch Zillennials – eine ganz eigene Mikrogeneration.

Wir sind also von allem ein bisschen, aber nichts so richtig. Tendenz jedoch bei den Millennials/Gen Y. Das heißt: Wir sind in relativer Wirtschaftsstabilität, in Frieden (in Europa) und noch dazu in einer zunehmend globalisierten Welt groß geworden. Das Wort Möglichkeiten wird bei uns großgeschrieben. Alles ist möglich. Dinge, die für unsere Eltern nie denkbar gewesen wären. Möglichkeiten bedeutet aber gleichzeitig auch immer Entscheidungen … Und so schließt sich der Kreis.

Liebevoll werden wir „Generation Why“ genannt, weil wir immer alles hinterfragen. Oder auch: „Generation Maybe“. Letzteren Begriff prägte der Journalist Oliver Jeges, als er von einer Generation schreibt, die „zwar gut ausgebildet, aber ohne Plan und Mut zu Entscheidungen [ist] und sich alle Möglichkeiten offen [hält]“. Und zu allem Übel hat der Mann auch noch Recht: Manchmal will ich mich nicht entscheiden, um mir andere Optionen noch offen zu halten. Bei Salat A, B oder C ist es nun wirklich scheiß egal, aber kommt es zu Dingen wie der Wochenendplanung, hört der Spaß dann auch schon auf. Da will ich ungebunden und spontan sein, keine Verbindlichkeit, Hauptsache keine Entscheidung treffen, solange es noch irgendwie aufhaltbar ist…

Andere Stimmen aus der Generationsforschung bezweifeln sogar, dass es überhaupt eine Essenz gibt, die die Kinder dieses Zeitalters verbindet. Wir sind also nicht nur planlos, sondern auch noch generationslos? Nein, das ist Bullshit, finde ich. Millionenfache Likes auf Starterpack-Memes, Emo-Videos und Schloss Einstein zeigen, dass wir sehr wohl ein gemeinsames Lebensgefühl teilen. Nur fühlt es sich tatsächlich manchmal so an, als wäre weniger Substanz darin. Gen Z so: „Wir halten den Klimawandel auf und revolutionieren den Arbeitsmarkt“, während wir Millennials völlig hilflos durch ein Meer von Studiengängen und Ausbildungen surfen, am Ende dann aber doch wieder unsere Koffer packen, uns nach Südamerika verpissen und sauer auf uns sind, weil wir gerne „viel politisch aktiver wären, aber einfach nicht wissen wie“. (Achtung, dezente Übertreibung!)

Bauchgefühl, meine treue Begleiterin (wenn sie Bock hat)

Mein Fazit also: Es ist vollkommen logisch und auch gar nicht schlimm, dass ich ein durchaus verwirrter Mensch bin, der relativ untalentiert darin ist, Entscheidungen zu treffen. 

Wobei das so eigentlich auch nicht ganz stimmt. Denn die Einzige, die mir bei diesem ganzen Problem unter die Arme greift, ist meine allseits treue Begleiterin: Mein Bauchgefühl. Das bedeutet: Auch wenn ich von Natur aus ein sehr verwirrter, alles hinterfragender Mensch bin, komme ich bei den großen Entscheidungen im Leben meistens zu einer vergleichsweise schnellen Entscheidung. Aus dem einfachen Grund, weil ich bei diesen Fragen ein Bauchgefühl habe. Und genau das lässt mich bei den unwichtigen Alltagsentscheidungen einfach im Stich. Ich nehme an, es hat einfach keinen Bock, sich bei so trivialen Dingen zu Wort zu melden.

Ein Studium abbrechen? Umziehen? Nach Palästina gehen? Einen Job kündigen? Mich auf etwas einlassen oder auch nicht. Mich zu etwas positionieren oder für etwas aufopfern. Liebe zulassen und geben. Alles kein Problem! Aber mich für eine Eissorte entscheiden? Niemals.


Von Lilly (26): Lilly ist Fan von arabischem Kaffee und ein absoluter Gefühlsmensch, der unglaublich viel Liebe und Empathie für seine Mitmenschen aufbringen kann. Dass so viel Empfindsamkeit auch ziemlich anstrengend sein kann, davon erzählt sie in ihren Texten – die oft von Liebe, Gefühlen und Zwischenmenschlichem handeln. Oder von der großen, weiten Welt, von der sie nicht genug bekommen kann.

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