Disclaimer: Aus Lesefluss-Gründen schreiben wir in diesem Text „Freundschaften“. Unter diesem Begriff beziehen wir alle Geschlechter mit ein.
Als Kleinkind bin ich easypeasy auf andere Kinder zugegangen und habe sie mit zwei Sätzen zu meinen besten Freund:innen gemacht. Jahre später hatte ich diesen Mut irgendwie verloren und mich lange schwer getan, Freund:innen zu finden. Doch tatsächlich hilft ein bisschen kindlicher Mut weiter.
Meine Oma erzählt mir oft von ihren Erinnerungen, die sie an mich als Kleinkind hat. Das ist für mich vor allem deswegen so spannend, weil ich, so bis ich ca. fünf Jahre alt war, noch einen sehr extrovertierten Charakter hatte. Ich war damals ganz verrückt nach anderen Kindern. Jedes Mal, wenn ich auf einem Spielplatz zwischen Sandkuchen und Holzwippe unterwegs war und dort andere Kinder gesehen habe, musste ich sie einfach kennenlernen. Ich bin dann einfach zu einem für mich besonders interessant aussehenden Kind hingegangen und habe gefragt: “Wie heißt du?” und als das dann geklärt war: “Wollen wir Freunde sein?”.
Jahrelang habe ich mich daran nur mit einem Schulterzucken erinnert. Witzig, wie mutig man als Kind doch ist, dachte ich mir dann. Erst als ich mich nach der Schule in neue Kontexte, wie Job oder Uni, begeben musste, ist mir aufgefallen, dass ich so gar nichts mehr von diesem kindlichen Mut in mir trage, der für mein dreijähriges Ich damals ganz selbstverständlich war.
Hat Mut ein Haltbarkeitsdatum?
Neue Freund:innen zu finden, hat sich mir plötzlich als Mammutaufgabe dargestellt. Denn ich hatte keine Übung mehr darin, ganz auf mich allein gestellt zu sein. Zuvor ist das Freundschaften schließen quasi gezwungenermaßen oder aber ganz nebenbei passiert: Am ersten Schultag im Gymnasium mussten wir unseren Tischnachbar:innen eine Frage stellen – dadurch habe ich meine erste Freundin auf der neuen Schule gefunden. Später bei einem Handstand-Wettbewerb dann die zweite. Und allgemein war es immer die einfachste Variante, wenn Freund:innen von Freund:innen zu den eigenen wurden.
Doch als all diese Zusammenhänge plötzlich weg waren, fiel es mir enorm schwer, überhaupt meinen Mund aufzumachen. Die einfachste Frage: “Wie heißt du?” kam mir nicht mal ansatzweise die Kehle hochgekrochen. Keine Ahnung, wohin dieser Mut verschwunden war – vielleicht habe ich ihn einfach so lange nicht mehr benutzt, dass er sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat.
Mit einigen Anlaufschwierigkeiten habe ich es trotzdem geschafft, mich in Gespräche einzuklinken – oder viel eher mich einfach wie ein Weirdo daneben zu stellen, um eventuell angesprochen und in die Gruppe integriert zu werden. Und in meiner ersten Uni-Veranstaltung hatte ich dann sogar eine sehr nette, vielversprechende Sitznachbarin, mit der ich mich ein bisschen unterhalten habe. Doch bei der nächsten Veranstaltung, ein paar Tage später, hat sie mich scheinbar nicht mehr erkannt. Und ich? Habe mich deshalb nicht getraut, nochmal auf sie zuzugehen. Jahre später haben wir dann trotzdem ein bisschen Kontakt gehabt. Einmal meinte sie dann, sie fände es so krass, dass sie am ersten Tag an der Uni eine nette Sitznachbarin hatte, die sie danach nie wieder gesehen hat. Ups. Wenigstens habe ich das Dilemma dann aufgelöst – peinlich war es aber trotzdem.

Nach den ersten Startschwierigkeiten wurde es dann zum Glück wieder einfacher: Eine Erstsemester-Hütte, Kennenlernspiele, gemeinsame Kneipentouren und Uni-Projekte treiben einen dann automatisch mit anderen Menschen zusammen, wodurch Gespräche und Bekanntschaften entstehen können.
Doch während der Corona-Pandemie wurde ich nochmal auf eine ganz neue Probe gestellt: In einer neuen Stadt, während einem Online-Semester mit Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und geschlossener Gastronomie, Menschen kennenzulernen, die dann auch noch zu einem passen, ist wirklich ein hartes Stück Arbeit.
Jetzt auf Angriff
Zum Glück wurde mir damals relativ schnell bewusst, dass ich meinen kindlichen Mut wiederfinden und meine alt-erprobten Strategien anwenden muss. Kurzum: Ich habe andere aus meinem Studiengang, die mir nach zwei Zoom-Veranstaltungen sympathisch erschienen, einfach angeschrieben. Was hatte ich auch zu verlieren? Das Schlimmste, was passieren hätte können, ist, dass sie nicht antworten. Oder dass sie keine Lust haben. Tatsächlich ist mir das mit dem Nicht-Antworten auch einmal passiert und ja, es ist nicht das schönste Gefühl der Welt. Aber ganz ehrlich, mit so einer Person muss ich dann auch nicht befreundet sein.
Vielmehr aber habe ich dadurch mehrere stundenlange Spaziergänge erlebt, bei denen ich meine Friendship-Dates direkt viel besser kennenlernen konnte als auf einer Kneipentour. Und aus den meisten Treffen sind dann immer mehr geworden, die mittlerweile in Freundschaften gefruchtet haben, die teilweise seit fast zwei Jahren halten.
Seit die Corona-Beschränkungen wieder lockerer wurden, haben sich auch Freundschaften aus Uni-Treffen, gemeinsamen Bekanntschaften, spontanen Konzertbesuchen und geteilten Hobbies entwickelt. Doch auch hier ist immer noch ein bisschen Initiative gefragt. Es muss jetzt nicht unbedingt meine frühere Lieblings-Frage – “Wollen wir Freund:innen sein?” – fallen (wobei das eigentlich süß wäre). Aber ein bisschen Aktivismus hat mir bisher noch nicht geschadet, um neu aufkeimende Freundschaften zu düngen. Gerade, wenn man das Gefühl hat, es könnte wirklich passen, lohnen sich, wie ich gemerkt habe, ein bisschen Mut und Naivität.
Falls du das also liest und du gerade an eine oder mehrere Personen denkst, die du eigentlich gerne besser kennenlernen würdest, dann ist jetzt der perfekte Moment, um dein Handy zu nehmen und ihr einfach zu schreiben: “Hey, hast du Lust, mal einen Kaffee, ein Bier oder ein anderes Getränk zusammen zu trinken? :)”. Das hat bei mir immer bestens funktioniert. Und: Ein paar Mal wurde mir das auch schon geschrieben – bisher hat mich das immer mega gefreut und erleichtert. Denn es kann gut sein, dass die andere Person sich dieselben Gedanken macht wie du.

Von Chiara (25): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.