Bauchgefühl ist (k)ein mieser Verräter

Skepsis wird in dieser Welt irgendwie immer als Tugend begriffen. Naivität hingegen als niedliches Laster. Alles muss ständig und zu jeder Zeit hinterfragt werden. Intuition und Bauchgefühl werden gerne belächelt. Dabei zeigt das Leben seinen Zauber oft erst dann, wenn man sich fallen lässt und der Welt mit Vertrauen begegnet. 

Von klein auf kriegen wir beigebracht skeptisch zu sein. Wohlgemerkt: eine notwendige Skepsis, die von „Steig zu keinem Fremden ins Auto“ bis hin zu „Geh nachts nicht alleine durch den Park“ reicht. Skepsis lehrt uns vorsichtig zu sein.

Eine gesunde Prise davon ist wohl unabdingbar. Natürlich ist sie das – Skepsis ist das Fundament unserer Demokratie, unserer Forschung, unserer Bildung. Nur durch das ständige Hinterfragen von Tatsachen lernen wir Neues, forschen wir weiter, werden wir klüger, mutiger, weltoffener.

Kopf oder Herz?

Und trotzdem frage ich mich oft, ob es eine Art Urvertrauen gibt, das wir Menschen im Keim erstickt haben. Ein Urvertrauen in das Gute und Schöne auf der Welt. Und ich frage mich, ob uns diese tiefsitzende Skepsis und unsere unendliche Liebe zur Kritik dazu verführen, immer nur von der schlimmsten aller Variablen auszugehen. Verlernen wir inmitten von Rationalität und Zweifeln ein wenig unsere Fähigkeit zu vertrauen? Bauchgefühl. Intuition. Instinkte. Gibt es das noch?

So formuliert klingt das erst einmal nach etwas relativ Erstrebenswerten: Mehr auf das eigene Bauchgefühl hören. Nicht immer alles hinterfragen. Einfach machen! Oft wird dieses Verhalten aber nur mit einem gleichgesetzt: Naivität. Dieses elende Wort, das so gerne mit (weiblicher) Inkompetenz verbunden wird. Wenn man ganz viel Glück hat, vielleicht auch Mal mit Niedlichkeit. In meinem Fall auch sehr gerne mit „Blondheit“. Wie dem auch sei. Ich will hier weder mit Klischees aufräumen, noch will ich irgendwelche lebensmüden Ratschläge verteilen. Das Einzige, was ich will, ist eine kleine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, in der es um Vertrauen geht. Um Bauchgefühl. Und um die kleinen Überraschungen, die das Leben bereithält, wenn man es lässt.

naiv, aber schön

Es war einmal ein Mädchen. Das Mädchen vertraut den meisten Menschen blind. Nicht allen. Aber den Meisten. Und klare Sache: Sie hat in ihrem Leben waghalsige Dinge getan. Sie hat sich nachts rausgeschlichen, ist mit 4 Becks Lemon und 2 Malibu-Kokos intus auf die Party im nächsten Dorf getrampt. Sie hat baggernde, eklige Männer angepöbelt, „weil sie ihr schon nichts tun werden“ und es soll vorgekommen sein, dass sie auch mal high vors Lenkrad kletterte, „weil in ihrem Kaff ja eh keine Polizei herumfährt.“ Regelmäßig lässt sie ihren Geldbeutel auf irgendwelchen Tischen liegen, wenn sie zum Rauchen nach draußen geht, „weil hier ja eh niemand auf die Idee kommen würde sie zu beklauen“ und wenn ihr obdachloser Nachbar sagt, er bringt das Fahrrad morgen zurück, dann glaubt sie ihm. Und ja – wenn sie total verloren am anderen Ende der Welt herumsteht und da plötzlich einer um die Ecke kommt und fragt, ob er ihr denn helfen könne eine Unterkunft für die Nacht zu finden, dann denkt sie „ach wie süß“ oder „wie viel Glück kann man eigentlich haben“. 

Eines schönen Sommertages passierte etwas Unerwartetes: das naive und privilegierte Mädchen ist – genau wie der Rest ihrer rastlosen Generation – auf Reisen in Neuseeland. Auf einem Campingplatz der neuseeländischen Nordinsel kauft sie einem Dealer zwei Gramm Gras für 20 Dollar ab. Dummerweise kann der junge Grasdealer ihre 50 Dollar nicht wechseln, weshalb die beiden vereinbaren, dass er ihr das Restgeld am nächsten Morgen am selben Treffpunkt zurückgeben würde. Zufrieden schlendert sie mit dem erworbenen Marihuana zurück zum Camp, wo ihre Freunde schon sehnlichst auf sie warten. „Wo sind die 30 Dollar?“ will einer der Freunde wissen. „Bringt er morgen. Er hatte kein Wechselgeld.“ Schweigen. Große Augen. „Spinnst du??? Das Geld sehen wir nie wieder!“ Wieder Schweigen. „Ach quatsch. Der war total lieb.“ Schweigen. Lachen. Prusten. „Ja man, jeder Mensch ist lieb, wenn er dir etwas verkaufen will.“ Nachdem die Geschichte noch eine weitere Stunde zum Running Gag erklärt wurde, geriet sie im Laufe des Abends und Rauchens dann langsam in Vergessenheit.

11 Uhr des nächsten Morgens: das naive Mädchen schält sich aus ihrem Schlafsack und gesellt sich zu ihren müden Freunden. Sie hantiert gerade an einem Campingkocher herum, als ein nervöser Kerl auf sie zugelaufen kommt. „Hey! Heeey Du! So ein Typ sucht seit ner Ewigkeit auf dem gesamten Campingplatz nach dir.“ Der Gras-Dealer erschien hinter ihm auf der Bildfläche. In der Hand die 30 Dollar. Sie hatte das Treffen verschlafen. Ein Blick in die verdutzten Gesichter der anderen reichte aus, um zu wissen, dass das der best day ever werden würde. Der ominöse Mann war nicht nur zur richtigen Zeit am richten Ort erschienen, er suchte auch noch den gesamten Platz nach ihr ab, um seine Schulden zu begleichen. Zur Feier des Tages schenkte das naive Mädchen ihm die Hälfte des Geldes. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. In ewiger Naivität.


Von Lilly (25): Lilly ist Fan von jordanischem Kaffee und ein absoluter Gefühlsmensch, der unglaublich viel Liebe und Empathie für seine Mitmenschen aufbringen kann. Dass so viel Empfindsamkeit auch ziemlich anstrengend sein kann, davon erzählt sie in ihren Texten – die oft von Liebe, Gefühlen und Zwischenmenschlichem handeln. Oder von der großen, weiten Welt, von der sie nicht genug bekommen kann. 

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