Zwischen Poesie und Penissen: Warum Toiletten-Graffiti lesenswert sind

Wie könnte man seinen innersten Gedanken besser Luft machen als mit einem Edding in der Kabine einer öffentlichen Toilette? Ja, Dinge an fremde Wände zu schreiben, ist Sachbeschädigung. Aber die Eigendynamik, die Toiletten-Graffiti manchmal annehmen, kann auch sehr unterhaltsam sein. Deswegen habe ich meine Masterarbeit darüber geschrieben und mich auf die Suche nach Klo-Wandsprüchen gemacht. Und siehe da, nicht nur Kugelschreiber-Penisse, sondern auch Aktivismus, Liebesbekundungen und Poesie.


Als ich im letzten Jahr, gebeutelt von Planlosigkeit in Hinblick auf ein Thema für meine Masterarbeit, sinnvollerweise mal wieder auf einen Dienstag mit Freund:innen in einer Ehrenfelder Kneipe versacke, muss ich auf Toilette. In der Kabine angekommen, schweifen meine von Kölsch und Haselnussschnaps glasigen Augen flüchtig über die Inschriften auf den Wänden, die mich umgeben.

„ICH MÖCHTE WIRKLICH GERNE WISSEN, WARUM IHR DICHTET STATT ZU PISSEN.“,

steht da mit schwarzem Edding an die Wand geschrieben.

Darunter:

„GEGEN DAS PATRIARCHAT“.

Zwei Fliesen weiter rechts wird wild darüber diskutiert, ob jetzt Iris, Glenn, Claudia oder Carmen die geilste Sau der Welt ist.

Auch weltverändernde Lebensweisheiten sind zu finden:

„Manche Frauen sind wie Klopapier: Sie reiben sich an beschissenen Typen und sind hinterher die Angeschmierten.“

Irgendwie schön, so eine unverhoffte Klo-Lektüre, denke ich, und so facettenreich! Dann kommt mir der Gedanke, dass ich ja etwas mit Sprache studierte. Man kann also sagen, dass mir die Idee für meine Masterarbeit mit ungefähr 2 Promille kam.

„Ist die verstopft?“ – „Nee, ich bin hier zu Forschungszwecken.“

Ein paar Monate später hatte ich bereits 281 Toilettenkabinen an der Kölner Uni von innen inspiziert und fotografiert. Nicht immer ein einfaches Unterfangen, das kann ich sagen. Ich glaube, ich wurde noch nie so oft verstört von anderen gemustert wie in dieser Zeit. Heute liege ich immer noch manchmal wach und frage mich, was diese Menschen gedacht haben müssen. Als ich mich immer wieder aufs Neue in dieselbe Warteschlange vor der Toilette eingereiht habe, einen Notizblock unterm Arm, nur um dann für eine Sekunde kurz einen Blick in eine Kabine zu werfen, mich danach wieder einzureihen und in die nächste freie Kabine zu schauen.

„Ist die verstopft?“, hat mich einmal eine wartende Frau gefragt, die wohl wissen wollte, warum ich die Kabine nach zwei Sekunden sofort wieder schlagartig verlassen hatte. Meine Antwort: „Achso, nee. Ich bin hier zu Forschungszwecken“. Ich habe dann selbst gemerkt, dass das komisch klingt, und entschieden, in Zukunft einfach die Klappe zu halten. So creepte ich da einige Wochen durch die Kabinen und machte mich unbeliebt. Aber alles für die Forschung.

Kaffee mit dem Hausmeister

Ein positiver Nebeneffekt der ganzen Aktion war, dass ich endlich mal meine Uni von innen gesehen habe, was in den vorherigen Semestern wegen der Pandemie nicht möglich gewesen war. Zwar hatte ich mir meine Zeit als Studentin an der Uni ein bisschen romantischer vorgestellt als alleine auf Klo-Erkundungstour zu gehen, aber ich habe Gebäude von innen gesehen, in die ich sonst wohl nie einen Fuß gesetzt hätte. Einmal habe ich sogar den Hausmeister der WiSo-Fakultät kennengelernt und mich mit ihm bei einem Kaffee über den hygienischen Zustand der Uni-Toiletten unterhalten. Wenn ihr Fragen dazu habt, kommt gerne auf mich zu.

In 41 Kabinen habe ich Toiletten-Graffiti gefunden. Darunter viel Aktivismus, Feminismus, viel Poesie. Viele Liebesbekundungen und Verabredungen. Und, was ich am spannendsten fand: schriftliche Unterhaltungen, die über Jahre hinweg weitergeführt wurden. Hier haben Leute die Innenwände von Toiletten benutzt wie eine Kommentarspalte bei Facebook oder einen Twitter-Thread: Indem sie auf das eingehen, was eine Person zuvor geschrieben hat, einander bekräftigen, diskutieren, beleidigen und Fragen beantworten. Ähnlich wie Chatrooms können die beschreibbaren Flächen öffentlicher Toilettenkabinen scheinbar als „Räume“ in der Welt dienen, in denen sich Menschen zu schriftlichen Interaktionen treffen.

In den Unterhaltungen geht es oft um Liebe, um Sex-Geschichten, um die Befürwortung oder Ablehnung genderneutraler Sprache, um Frust, Leistungsdruck, das Anderssein. Es war schön zu sehen, dass Leute nicht nur Geschlechtsteile in Wände ritzen, sondern sich die Zeit nehmen, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen und sich darüber auch tatsächlich mit anderen auszutauschen und einander zu ermutigen, zu diskutieren und Ratschläge zu geben – in schriftlicher Form an Toilettenwänden:


Von Fee (28): Während Fee sich früher noch Kurzgeschichten über böse Punker ausgedacht hat, schreibt sie heute als Journalistin lieber Texte über die Gefühle ihrer Generation, über gesellschaftliche Missstände und inspirierende Menschen. Manchmal macht sie auch einen Fernsehbeitrag darüber. Ihr Mitbewohner sagt, sie wäre etwas zu vorwitzig und sollte weniger Fragen stellen, aber sie sieht das anders. Immer am Start: Empathie, der Wunsch, mehr von der Welt zu sehen und Hündin Martha.

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