Die Realität von BeReal

Push-Benachrichtigungen auf unseren Smartphones können einiges in uns auslösen. Sagt uns die ZDF-heute-App, dass das UK mal wieder einen neuen Prime Minister hat, scrollen wir durch den zugehörigen Artikel. Teilt uns Bumble mit, wie beliebt wir angeblich in unserer Umgebung sind, wird natürlich sofort ein bisschen geswiped. Und sagt uns diese eine „neue“ App, dass es „Zeit für BeReal“ ist – sind wir dann wirklich real?


Für alle, die dem Hype bisher noch entkommen konnten: BeReal ist eine App, die eigentlich schon Ende 2019 veröffentlicht wurde. Wirklich bekannt wurde sie aber erst in diesem Jahr. Im Vergleich zu 2021 hat sich die Zahl der monatlich aktiven Nutzenden um über 2000 Prozent gesteigert (nein, da fehlt kein Komma, über zweitausend Prozent!).

BeReal soll eine Art authentischeres Instagram sein. Einmal am Tag erhältst du als Nutzer:in die Benachrichtigung, dass es „Zeit für BeReal“ ist und wirst dazu aufgefordert, in den nächsten zwei Minuten ein Foto mit der Außen- und eins mit der Innenkamera deines Smartphones aufzunehmen und mit deinen Freund:innen zu teilen. Die Notifications kommen zu ganz unterschiedlichen Zeiten und sollen dafür sorgen, dass die Nutzenden tatsächlich ihr reales Leben einfangen und posten. Sind die zwei Minuten um, gibt es immer noch die Möglichkeit ein „late“ zu teilen. Deine Follower:innen können dann sehen, dass du nicht in der vorgegebenen Zeit „real“ warst und dürfen dich dafür natürlich zutiefst verurteilen.

Nostalgie am Smartphone

Um mich gleich mal zu outen: Ich mag BeReal! Dank einer Freundin, die viel mehr Plan von Social Media hat als ich, nutze ich es auch schon vergleichsweise lange. Für mich, als Person, die Instagram ausschließlich passiv nutzt und auch abgesehen davon selten daran denkt, Fotos zu machen, war BeReal in erster Linie eine App, um mein Leben für mich selbst festzuhalten. Nostalgisch bin ich dann nämlich doch.

Anfangs habe ich mir mein BeReal also öfter „aufgehoben“ und die Fotos erst gemacht, wenn ich etwas Besonderes oder Schönes gemacht habe – und habe auch nicht das Problem darin gesehen. Ich habe eben festgehalten, was mir in Erinnerung bleiben sollte. Super real halt…

Keine Panik, mittlerweile habe ich auch verstanden, dass das nicht der Sinn von BeReal ist. Wenn ich mich jetzt durch meine Memories klicke, sind da neben den Party-, Café- und Reise-BeReals auch die Nudeln-mit-Pesto-, Verkatert-im-Bett- oder Alleine-auf-irgendeiner-random-Straße-BeReals.

Obwohl ich mir auch diese langweiligen, normalen BeReals gerne noch mal ansehe und kein Problem damit habe, sie zu posten, freue ich mich doch immer ein kleines bisschen zu stark, wenn die Notification dann kommt, wenn ich mein reales Leben gerade mag. Wenn ich also auf irgendeiner Party bin, in einer Bar oder einem Club umgeben von feierwütigen Leuten, wenn ich mit Freund:innen im Cafè sitze oder zusammen mit ihnen koche, gerade auf einer Ausstellung oder in der Rigaer Oper angekommen bin. 

BeFake?

Aber obwohl ich mir mein BeReal nicht mehr „aufhebe“, um es an den besonderen Momenten meines Lebens einzulösen, ist die ganze App doch höchstens so semi-real. Klar, meine Follower:innen können sehen, wie häufig ich das BeReal aufgenommen und wieder gelöscht habe (was mir auch erst viel zu spät klar wurde haha), aber ganz ohne schöne Posen und angepasste Perspektiven kommt BeReal eben auch nicht aus. Dann werden die Haare erst noch mal gemacht, ein Getränk in die Hand genommen oder die Freund:innen dazu aufgefordert, doch ein bisschen mehr auszusehen, als hätten sie Spaß. Krass, sind wir real! 

Und auch abgesehen davon sind manche Aspekte an BeReal gar nicht so cool. Theoretisch sind wir dadurch, dass viele Nutzende auch ihre Location teilen, auf eine ganz neue Art überwachbar. Wir werden dazu verleitet, noch öfter einen Blick auf das Smartphone zu werfen, als wir es eh schon tun. Die BeReal-Zeit will man schließlich nicht verpassen. Und diese Zeit kann auch dann kommen, wenn man eigentlich gerade in einem richtig guten Gespräch wäre oder am Panik-Lernen für die nächste Klausur. Wenn „Zeit für BeReal“ ist, ist kaum noch Zeit für etwas anderes.

Instgram für Overthinker

Irgendwas, das ich bisher bei keinem anderen sozialen Netzwerk gefunden habe, gibt mir BeReal trotzdem. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mir nicht endlos viele Gedanken darüber machen muss, ob das Foto wirklich gut genug ist, um es zu posten. Während ich mir bei Instagram den Kopf darüber zerbrechen würde, ob ich dieses Detail aus meinem Leben wirklich teilen soll oder ob ich meine Follower:innen damit nur abfucke, kann ich bei BeReal einfach alles auf die App schieben. Die zwingt mich schließlich dazu, genau diesen einen Moment aus meinem Leben zu teilen – ob er nun besonders aufregend ist oder nicht.

Und da alle meine Freund:innen auch dazu gezwungen werden, zeigt BeReal, dass die anderen Leben gar nicht immer so spannend und glamourös sind, wie es Instagram teilweise vermuten lässt. Die Wohnung putzen, einkaufen, alleine im Bett liegen oder Wäsche waschen gehört nun mal auch zum realen Leben von uns allen dazu. Und diese Realität macht BeReal zumindest ein bisschen greifbarer.


Von Lena (24): Lena ist kein nachtragender Mensch. Aber über die Unkreativität ihrer Eltern bei der Namensgebung ist sie immer noch nicht ganz hinweg. Als hätte unsere Generation nicht schon genug damit zu tun, sich ständig abzuheben, muss Lena sich auch noch im Meer der Lenas behaupten. Sie fasziniert die Menschen um sich herum als Zuhörerin und Freundin. Als wissbegieriges Kind und seriöse WDRlerin. Als aufmerksame Beobachterin und politisch interessierte Journalistin.

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