“Wow, nicht schlecht!” – Sexismus an der Tischtennisplatte

Mein Gesicht wird heiß und in meinem Kopf sind alle Lichter ausgeknipst. Wo ich gerade noch easy die Bälle über die Platte gespielt habe, knalle ich plötzlich einen nach dem anderen ins Netz. Sämtliche Freude am Game ist wie weggeblasen. Und das nur, weil irgendein fremder Typ mir mal wieder ungefragt vermitteln wollte, Frauen könnten nicht Tischtennis spielen. 


Volksmusik und Wilde Kerle

Als wir Kinder waren, sind meine Geschwister und ich relativ geschlechterstereotyp in entsprechende Sportarten gesteckt worden: Ich habe im Alter von vier Jahren angefangen Ballett zu tanzen, bei meinem zwei Jahre jüngeren Bruder war es Fußball. 

Meine Eltern würden an dieser Stelle jetzt direkt einwerfen: “Wir haben euch dazu nicht gezwungen – ihr wolltet das auch.” Und damit haben sie in gewisser Weise auch recht. Ich habe schon immer sehr viel getanzt. Samstagabends mussten meine Eltern mit mir “die Feste der Volksmusik” anschauen. Dabei habe ich mich auf dem Wohnzimmertisch als Prinzessin verkleidet in meinen ersten tänzerischen Bühnenerfahrungen geübt. Und ja, mein Bruder hat schon sehr früh eine Begeisterung fürs Fußball entwickelt. Auf einer Wiese neben unserem Haus hat er seine eigene Allianz-Arena eröffnet, mit Toren, Eckfahnen und Auswechselbank. Dort hat er so gut wie jeden Tag mit den Nachbarsjungs gekickt.

Bei diesen süßen Anekdoten fehlt aber ein wichtiger Teil: Denn bei den Volksmusikabenden stand ich nicht allein auf meiner Wohnzimmertisch-Bühne. Mein Bruder war ebenfalls als Prinzessin verkleidet und hat mit mir getanzt. Und ich habe wiederum, spätestens als die Wilden Kerle im Kino waren, den Kleiderschrank meines Bruders geplündert und immer, wenn es möglich war, mit ihm Fußball gespielt. 

Ob mein Bruder in eine Tanzschule wollte, weiß ich nicht. Aber mit Sicherheit weiß ich, dass ich damals in einen Fußballverein gehen wollte. Nur durfte ich nicht. Das Argument meiner Eltern damals: Ich wäre zu klein und zierlich und würde dort nur niedergemäht werden.

Ballsport – das können nur Männer!? 

Heute beschränken sich meine Berührungen mit dem Fußball hauptsächlich auf das Fernsehen. Dass ich deshalb auch weiß, welche Spieler in welchem Verein sind oder welcher Club wie gut gespielt hat, wird von vielen dann überrascht aufgenommen: “Hätte ich nicht von dir gedacht.” 

Vermutlich, weil ‘Frauen und Fußball’ für viele wohl immer noch nicht zusammen passen. 

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, für viele passen Frauen und Ballsportarten im Allgemeinen nicht zusammen. Wenn ich mit meinem Freund Tischtennis spiele, kommt es mir jedenfalls oft so vor.

Zieht mein Freund mir einen Schmetterball rechts in die Ecke und andere Männer (ja, es sind immer Männer) beobachten das, nicken sie anerkennend, ganz nach dem Motto: “So gehört sich das!” Manche lassen wiederum wie wohlerzogene Gentlemen verlauten, dass solch eine Spielweise einer Frau gegenüber doch unfair wäre. Mein Freund entgegnet dann meistens “Das kann die genauso“, woraufhin ich von den fremden, männlichen Kommentatoren ungläubig angesehen und minutenlang genauestens beim Spielen beobachtet werde. 

Ziehe ich meinem Freund genau so einen Ball in die Ecke, werde ich beklatscht, bejubelt und angefeuert. Wohlgemerkt: von fremden Männern. Die sagen dann “Wow, nicht schlecht!” und “Mach ihn fertig!”. Sie beobachten aufmerksam meine weiteren Spielzüge, als wären sie meine Trainer. Wenn ich dann doch verliere, haben sie Mitleid und sagen “Schade, vielleicht nächstes Mal”. Zu meinem Freund hat das noch niemand gesagt, wenn er verloren hat. 

Ich scheine wirklich einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, denn ich werde ab und zu wiedererkannt. Einmal hat mich einer meiner “Trainer” gefragt, ob ich mittlerweile besser mit meinem Freund mithalten könne. Da habe ich mich doch direkt geschmeichelt gefühlt. 

Der innere Druck, der sich in solchen Situationen jedes Mal in mir aufbaut, gepaart mit riesengroßer Aggression, resultiert dann oft darin, dass ich keine Lust mehr habe, schlecht spiele und extrem angepisst und frustriert nach Hause gehe. Oft mache ich mittlerweile auf dem Weg zur Platte kehrt, wenn ich sehe, dass dort der ein oder andere “Trainer” wartet. 

“Das ist doch nicht böse gemeint”, 

würde der ein oder die andere jetzt vielleicht beschwichtigend sagen. Und ja, vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, ist es das nicht. Aber ich darf und will mich trotzdem darüber beschweren. Denn es macht deutlich, wie wenig Frauen in solchen vermeintlichen Männersportarten akzeptiert und ernst genommen werden. Diese Männer, die mich da kommentieren, glauben wahrscheinlich nicht, dass ich ein Gott-gesandtes Wunderkind bin, gesegnet mit einem unglaublichen Tischtennis-Talent. Sie denken einfach, dass Frauen sowas normalerweise nicht können. Und das lassen sie mich spüren, indem sie mich mehr bejubeln als meinen Freund. 

Wenn ich also Tischtennis spiele, dann geht es mir dabei nicht wie meinem Freund oder auch meinem Bruder. Denn sie haben vor allem eines auf ihrer Seite, was ich nicht habe: Selbstvertrauen. Das Selbstvertrauen, dass sie das schon hinkriegen. Und das Wissen, dass ihnen das auch die meisten Menschen zutrauen. 

Ich hingegen spiele mit gefühlt 100 Augenpaaren auf mir, die erwarten, dass ich versage. Fremde, männliche Augenpaare, die mir als Frau nicht zutrauen, gut spielen zu können. Da ist es nicht immer leicht, trotzdem noch an sich selbst zu glauben.

Ja, ich weiß, dass auch Männer unter solchen Erwartungshaltungen leiden können (Stichwort: toxische Männlichkeit). Aber ich glaube trotzdem, dass es schwerer ist, sich aus der Position herauszuarbeiten, in welcher einem nichts zugetraut wird, als sich aus einer Position herauszuarbeiten zu müssen, in der einem zu viel zugetraut wird. 

Und dass man sich mit einem anderen Selbstvertrauen in Gebieten wie Männerdominierte-Sportarten bewegt.

Und jetzt?

Um dieses riesige Problem “Sexismus im Sport” zu lösen, müsste man vielleicht damit anfangen, Kinder ihren Sport frei wählen zu lassen. Vielleicht müsste man im Schulsport ein breiteres Spektrum an Sportarten unterrichten und ihn wirklich nirgends mehr mehr geschlechtsspezifisch trennen. Vielleicht wäre auch schon viel getan, wenn Frauenfußball in der medialen Berichterstattung genau so viel Platz finden würde wie Männerfußball oder zumindest beide gleich viel Geld bekommen würden. Vielleicht wäre es auch einfach mal Zeit dafür, dass Frauen beim Sport tragen dürfen, was sie wollen und dabei nicht auf ihre Körper reduziert werden. 

Ich für meinen Teil könnte natürlich jedes Mal, wenn ich an der Tischtennisplatte kommentiert werde, eine Rede über Sexismus schwingen und versuchen, diesen Männern klarzumachen, was sie mit ihren wertenden Aussagen in mir auslösen. Aber ich bezweifle, dass das etwas bringen würde.


Von Chiara (25): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.

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