Fuck you M. – die Nachwehen eines Alptraum-Dates

Ich nicke zustimmend, staune, stammle, frage interessiert nach. Schließe einen weiteren Knopf meiner Jacke, die ich über dem süßen Shirt trage, das eigentlich viel zu kalt für beschissenes deutsches März-Wetter ist. Ein „Ja – Das kann ich total nachvollziehen!“ bestätigt meine vermeintliche emotionale Involviertheit und die Sinnhaftigkeit hinter dem Gelabere eines Mannes, den ich im März letzten Jahres datete. Er wird im Folgenden mit M. abgekürzt.


Es sind 1,5 Jahre vergangen, seitdem ich diese Begegnung machte, von der manche behaupteten, es sei später aber sicher eine Erfahrung, aus der ich „lernen und stärker hervorgehen könne“. Bullshit, denke ich nur. Ich wäre heute auch eine starke Frau, wenn ich nicht von einem gestörten Pseudo-Psychologen verunsichert, unter Druck gesetzt und benutzt worden wäre. Ich verwende diese drastischen Wörter, weil ich jetzt – 1,5 Jahre später – endlich kapiert habe, wie uncool das alles war. Und trotzdem komme ich nicht ohne Ironie klar, weil ich auch jetzt – 1,5 Jahre später – noch nicht dazu in der Lage bin, komplett serious von diesem Scheißtag zu erzählen. 

Ok, ich gebe zu, eine Sache habe ich wirklich ein für alle Mal gelernt: verdammt nochmal auf mein Bauchgefühl zu hören. Diese – mich warnende, fast schreiende – Stimme in meinem Inneren habe ich nämlich ganz erfolgreich ignoriert. Was ich sonst noch so aus diesem wunderbaren Tag mitgenommen habe: meine erste (& Gott sei Dank auch letzte) Panikattacke, eine weitergeführte Red-Flag-Liste und die immer wieder aufkommende Frage „Wie geh ich jetzt damit um?“ 

Die ersten Vögel landen schon

Um diese Frage zu beantworten, müsst ihr erstmal verstehen, was passiert ist. Und da fängt der Mist auch schon an. „Passiert“ ist nämlich erstmal gar nichts. Sein Arschloch-Verhalten war latent und unterschwellig. An der Oberfläche war er zwar ein bisschen kühl, aber gleichzeitig auch interessant, schlau, lässig. Er war wie so ein scheiß trojanisches Pferd: „ein harmlos aussehendes Objekt, das ein Angreifer zur Tarnung verwendet, um in einen sicheren, geschützten Bereich eingelassen zu werden“. Yes Wikipedia, das ist es! – M., du bist ein fucking trojanisches Pferd! 

Das ist es zumindest, was ich mir sage, um irgendwie vor mir selbst zu rechtfertigen, dass ich nicht früher gegangen bin. Im Nachhinein fallen mir um die 3 Millionen Situationen ein, in denen ich hätte gehen sollen. Aber ich konnte nicht. War wie gefesselt an die Situation. Hab mich klein gefühlt und gleichzeitig bis zum Ende hin versucht, ihn zu beeindrucken. Um mich im Folgenden nicht tausend Mal wiederholen zu müssen, führe ich ein Wort ein, das stellvertretend für diesen Satz steht: „Und spätestens jetzt hätte ich einfach gehen sollen“. Das Wort ist Vogel. 

Ich war selten in meinem Leben so nervös und das merkte man mir wahrscheinlich schon aus 500 Metern Entfernung an. M. ist der erste Mensch, den ich treffe, seit mein Freund und ich unsere Beziehung geöffnet haben und ich hab wirklich keine Ahnung mehr, wie so etwas funktioniert.

Es beginnt schon mit dem so viel beschworenen ersten Eindruck. Irgendwie verbreitet er alles andere als kuschelige Wohlfühl-Vibes und mein Bauchgefühl ist instant unbegeistert. Aber wie wir alle wissen: Erste Eindrücke können täuschen, also hier noch kein Vogel. Außerdem: Er ist irgendwie spannend, weiß wie man flirtet. Die nächste halbe Stunde tauchen wir tief in die Weiten unserer OkCupid-Erfahrungen ab und da es bei mir nicht viel abzutauchen gibt, kommt ziemlich schnell mein Beziehungsmodell zur Sprache. Puuuuuhhhhh. Schwieeeeeriges Thema! Auf die völlig entrüstete Frage, warum zum Teufel ich das denn nicht in meinem Profil erwähnt habe, antworte ich, dass ich eben erstmal einen Menschen und nicht nur Instant-Sex-Anfragen kennenlernen wolle. Daraufhin lehnt er sich zurück – ein Arm über der Parkbank – grinst mich an und murmelt: „Na ja, aber im Endeffekt…das ist es doch, was du willst, oder?” Vogel!!

Unbehagen breitet sich in mir aus und ich hab das Gefühl, es gefällt ihm. Über einige Umwege, mit sehr viel Gestammel und einigen „Ähms” versuche ich, mich zu erklären. Ich komme gar nicht mehr aus dem Rechtfertigungs-Modus heraus. Vogel. (uff, bin schon wieder aggressiv, wenn ich daran denke)

So geht es weiter und weiter. Er ist der festen Überzeugung, genau zu wissen, welche Form von Beziehung mein Freund und ich führen (er weiß es natürlich auch sehr viel besser als ich selbst!) Es hagelt Definitionen von Polyamorie, freier Liebe und offenen Beziehungen, damit ich auch „besser einschätzen könne, was ich denn jetzt eigentlich wolle.“ DANKE dafür, M. <3!

Ab diesem Moment war die Rollenverteilung klar. Er: der coole, weise, erfahrene Typ, der mir erklärt, wie die Welt funktioniert. Ich: die naive, unsichere Maus, die nicht weiß was sie eigentlich will. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund spiele ich mit. Vogel. Vogel. Vogel.

Du wirst gerne verprügelt, oder?

Wenn ihr jetzt denkt, ich habe mich verprügeln lassen, kann ich euch beruhigen. Ganz so dramatisch wird es nicht. Die Wahrheit ist, dass wir tatsächlich eine relativ interessante Unterhaltung zustande bringen, nachdem das Offene-Beziehung-Drama gegessen war. Ich vermute, irgendwann ist er von seinem „Diese Bitch verschwendet meine Zeit“-Trip zu einer „Na dann fick ich sie halt“-Trotzhaltung übergegangen. Und er gibt sich alle Mühe, dieses Ziel zu erreichen. Er ist interessiert, ein bisschen witzig, ein bisschen charmant und vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen authentisch. 

Ganz unterdrücken kann er seine Rolle als allwissender Pseudo-Psychologe dann aber doch nicht. Mitten im Gespräch, for real MITTEN im Gespräch, schaut er mich an, hält inne, als ob er mein Innerstes lesen würde und fragt: „Du wirst gerne verprügelt, oder?“ Vielleicht sollte es irgendein dummer, unüberlegter Witz werden, den ich nicht verstanden habe. Glaub aber nicht. Ich glaube, alles an seinem Handeln war durchdacht und irgendwie manipulativ. Die Frage wirft mich aus der Bahn. Ich verfalle wieder ins Stammeln. Spekuliere, ob das eine Fangfrage ist. Weiß nicht mehr, wie sich ein normaler Mensch verhält. Ich glaube, er genießt meine Unsicherheit. Dann wieder alles auf Anfang: Er lächelt, macht Witze, wickelt mich mit Reisegeschichten und liebevollen Erzählungen von Neuseeland um den Finger.

Vogel !!

Der Höhepunkt ohne Höhepunkt

Spoiler gleich zum Anfang: Ja, ich bin mit ihm nach Hause gegangen. Bitte fragt nicht, warum. Ich weiß es nicht.

Tatsache ist: Für mich war es schrecklich. Alles geht viel zu schnell, er geht unendlich respektlos mit mir um, sagt komische Dinge, die ich nicht verstehe. Er kneift in meine Hüfte und fragt mich, ob das mein „Fickspeck“ sei. VOGEL. Natürlich gibt es kein Vorspiel. Für mich zumindest nicht. Für seine Befriedigung sorgt er😊VOGEL VOGEL VOGEL. Ich werde euch und vor allem mir weitere Details ersparen. Aber: Mein persönlicher Höhepunkt war der Moment, in dem er ganz plötzlich aufspringt: „Ich hab mein Bett heute Morgen frisch bezogen!“ Er geht zum Schrank, zaubert ein paar Handtücher hervor und bittet mich, sie unterzulegen. Hmm, gerade frage ich mich, ob er vielleicht einfach irgendeine Neurose hat. Aber vermutlich nicht. Vermutlich war auch das einfach nur Schikane. 

VOGEL. VOGEL. VOGEL.

VOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOGEL !

Im Grunde tat er nichts gegen meinen Willen. Ich war ziemlich neben der Spur, aber ich machte von A bis Z mit. Ich war sogar danach noch nett zu ihm. Mein verwirrter, armer Kopf verstand gar nicht, was überhaupt passiert war, aber langsam schaffte es meine bis dato taube Gefühlswelt wieder an die Oberfläche. M. verschwindet im Bad. Ich beginne, mich anzuziehen. Vogel. Ich weiß noch, dass ich mich selbst zu diesem Zeitpunkt noch fragte, ob das nicht ein bisschen überstürzt und unfreundlich sei. Er kommt aus dem Badezimmer, schweigend, legt sich ins Bett, schweigend, tippt auf seinem Handy herum, schweigend. Ich war für ihn wie Luft und das war der Zeitpunkt, an dem es mir ein bisschen dämmerte. Dass ich benutzt wurde. Wie ein Gegenstand ohne Gefühle. 

Der Vogel hebt endlich ab. Meine Mitbewohner:innen finden ein leicht verstörtes, noch nichts kapierendes Bündel vor, als ich nach Hause komme. Ich beginne zu erzählen und erst als ich in ihre völlig geschockten Augen blicke, höre ich auf zu lachen und beginne zu verstehen, dass das eigentlich alles gar nicht lustig ist. 

Wie jetzt damit umgehen?

Die Wochen danach waren scheiße. Ich hatte ein komplettes Dating-Trauma und immer wieder kurze Flashbacks von seinem nackten Körper vor Augen. Ich bin jedem männlichen Blick, jedem menschlichen Lächeln gewichen. Hab mich unwohl auf der Straße gefühlt, immer auf den Boden geschaut. So war ich noch nie drauf. Ich hatte Todesangst ihm zu begegnen, ne Panikattacke bei Rewe und hab überlegt, umzuziehen (natürlich wohnt dieser Mensch – in einer 1Millionen Einwohner Stadt – in meiner Straße). Die ganze Zeit spielte sich in meinem Kopf die gleiche Frage ab: „Warum bist du nicht früher gegangen? Warum bist du nicht früher gegangen?” Ich konnte mir das nicht verzeihen. War enttäuscht von mir, weil ich alle Red Flags samt meines Bauchgefühls ignoriert hatte. Fühlte mich unemanzipiert und klein. Schämte mich vor mir selbst und anderen. Schäme mich auch heute noch ein bisschen. 

Und genau das war das Schlimmste an allem: Ich war sauer auf mich selbst, anstatt auf ihn. Klassisches Opfer-Syndrom. Fick dich, M. Aber gleichzeitig hatte ich den großartigsten Support, den sich ein Mensch nur vorstellen kann. Fuck! Was hab ich nur für unglaubliche Freund:innen? Von Null auf Hundert fühlte ich mich plötzlich so empowert, dass ich endlich wieder klar sehen konnte: Wer von uns beiden sollte sich schämen, M.?

Bei einem Joint haben meine Freundinnen und ich einmal die PERFEKTE Rede formuliert. Für den Fall, dass ich ihm in einer „flüchten geht nicht so einfach“-Situation über den Weg laufe. Bedauerlicherweise haben wir nichts davon aufgeschrieben und schon am nächsten Tag wieder alles vergessen, sogar unseren „Bäm in die Fresse, mega lässigen“ ersten Satz, dem ich wirklich hinterhertrauere. Meine Therapeutin meinte mal, ich solle doch einen Text wie diesen schreiben, ausdrucken und in seinen Briefkasten werfen. Das wäre in jedem Fall ziemlich geil, hat aber irgendwie auch so ganz latente Drohbrief-Vibes.

Ich will andere Frauen und Menschen davor schützen, solche Erfahrungen machen zu müssen. Menschen, die nach mir kommen. Gleichzeitig will ich ihm nicht meine komplette Gefühlswelt offenbaren. Wie schafft man das also? Jemandem auf ganz ernst klarmachen, dass er ein Manipulator ist, dessen Verhalten andere verletzt und verstört, ohne sich dabei komplett nackt zu machen?

Eine meiner vielen tollen Freundinnen hat mal gesagt, die stärkste Waffe, die man hat, ist, sich vor jemandem nackt zu machen, denn dann hat dieser jemand nichts mehr gegen dich in der Hand. Sie hat Recht. Was soll schon passieren, wenn er weiß, wie sehr mich der Shit mitgenommen hat? Im besten Fall ist er geschockt von sich selbst. Im schlimmsten Fall… ja, was eigentlich? 

All das sind Gedanken, die ich seit 1,5 Jahren habe, aber aktuell will ich nichts dieser Dinge tun. Fühle mich null bereit dazu. Vielleicht wird es am Ende doch die Drohbrief-Variante. Bis dahin gibt es diesen Text, und die Hoffnung, dass zumindest andere verstehen, wie man Menschen nicht behandeln sollte. Und an all die Menschen, die sich jemals in einer ähnlichen Situation wiederfinden: Versucht den Vogel fliegen zu lassen!

P.S. Noch ein kleiner Fun Fact zum Schluss: In seinem OkCupid Profil stand er sei Feminist 


Eine Sache noch: Bitte keine Nachrichten mit Hinweisen und Vorschlägen, was ich alles hätte machen können und auch jetzt noch machen könnte.


Von Lilly (25): Lilly ist Fan von jordanischem Kaffee und ein absoluter Gefühlsmensch, der unglaublich viel Liebe und Empathie für seine Mitmenschen aufbringen kann. Dass so viel Empfindsamkeit auch ziemlich anstrengend sein kann, davon erzählt sie in ihren Texten – die oft von Liebe, Gefühlen und Zwischenmenschlichem handeln. Oder von der großen, weiten Welt, von der sie nicht genug bekommen kann.

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