Als ich 16 war, wollten viele meiner Freundinnen unbedingt die Pille nehmen. Manche, weil sie einen Freund hatten, andere einfach, weil das zum „Frau-Sein“ wohl dazugehöre. Ich selbst habe erst mit 20 angefangen, sie zu nehmen. Obwohl ich über die genauen Hintergründe nie genügend aufgeklärt war. Wie mein eigener Körper funktioniert – das habe ich erst gelernt, als ich die Pille abgesetzt habe.
Vor viereinhalb Jahren habe ich mir das erste Mal die Pille verschreiben lassen. Ich war eine „Spätzünderin“ und habe auch lange gehadert. Ein paar meiner Freundinnen hatten sogar schon wieder aufgehört die Pille zu nehmen – und mir Horror-Geschichten von den Nebenwirkungen beim Absetzen erzählt. Verstärkter Haarwuchs, unreine Haut und Gewichtszu- oder -abnahme. Das wollte ich vermeiden.
Trotzdem erschien mir die Pille als das einfachste und sicherste Verhütungsmittel – weshalb ich mich auch dafür entschieden habe.
How to: Pille verschreiben lassen
Meiner Gynäkologin ging das Rezept schnell von der Hand.
“Sie wollen die Pille? Kein Problem!”
Eine kurze Abfrage zum Trombose-Risiko: “Familiäre Vorgeschichten?” – “Ja.” –“Rauchen Sie?” – “Nein.” Wird schon passen.
Niedrig dosiert war sie, ohne Östrogene – weil: Angst vor Nebenwirkungen.
Aber was Östrogene eigentlich in meinem Körper machen? Davon hatte ich keinen Plan. Sowohl vor als auch nach dem Beratungsgespräch.

Man könnte meinen, dass dieses ärztliche „Aufklärungsgespräch“ vor der Ausstellung des Pillenrezeptes in seiner Kürze und Oberflächlichkeit eine Ausnahme sein müsste. Vergleiche ich es allerdings mit den Aufklärungsgesprächen meiner (damals wohlbemerkt erst 16-jährigen) Freundinnen, war meins wohl tatsächlich noch eins der ausführlichen. Natürlich ist es gut, dass Frauen und Mädchen sich selbst um ihre Verhütung kümmern können. Aber wie leichtfertig die Präparate verschrieben werden und wie wenig über mögliche Nebenwirkungen und überhaupt die Wirkung an sich aufgeklärt wird, finde ich schockierend. Schließlich ist es ein Eingriff in den genau abgestimmten Hormonhaushalt im Körper. Nur ist das den wenigsten klar, wenn sie anfangen die Pille zu nehmen.
It’s a Club
Ab da war ich Teil eines Clubs. Es war aufregend, denn ich konnte mich mit meinen Freundinnen über ganz neue Themen austauschen: Wie stelle ich sicher, dass ich die Einnahme nicht verpenne? Zu welcher Tageszeit passt es am besten? Wo werden die Pillen-Streifen deponiert? Wie verschiebe ich meine Blutungen? Panische Chat-Verläufe mit Einschätzungen, ob ich die Pille doppelt nehmen sollte, weil ich vier Stunden nach der Einnahme gekotzt oder Durchfall hatte, waren auch in den ersten Monaten immer mal wieder gang und gäbe. Aber es hat mich und meine Freundinnen verbunden.
Endlich die Kontrolle?
Ich habe es lange sogar fast genossen, eine Pillen-Nehmerin zu sein. Ich hatte auch keine großen Probleme damit, mich an das pünktliche Einnehmen zu erinnern. Meine Blutungen kamen auf die Minute genau und wenn es mal nicht passte, dann habe ich sie ganz einfach verschoben. Plötzlich hatte ich Zugang zu einem Kontrollzentrum meines Körpers und konnte Einfluss auf etwas nehmen, dem ich vorher ausgeliefert war: meine Periode (bzw. eigentlich mein Zyklus. Aber damals hat mein Zyklus in meinem Horizont nur aus Periode und Nicht-Periode bestanden). Allerdings hatte ich eigentlich nur einen Hebel, an dem ich schalten und walten konnte. Den vollen Überblick über den Gesamtprozess des Zyklusses hatte ich nicht. Das habe ich dann auch gemerkt, als ich immer mal wieder Zwischenblutungen hatte.
Das würde, so meine Gynäkologin, wahrscheinlich an der niedrigen Dosierung meiner Pille liegen. Dass ich darauf keinen Einfluss nehmen konnte, hat mich sehr gestört.
Ich habe doch jetzt die Pille! Und damit die Macht!
Denkste.
Doch nicht alles so rosarot
Nach circa. einem halben Jahr mit Pille hat sich dieser kleine rosafarbene Hormon-Smartie das erste Mal auf meine Stimmung ausgewirkt. Ich hatte die Pille durchgenommen, um meine Periode zu verschieben. Allerdings hatte ich Zwischenblutungen und meine Gynäkologin meinte, ich solle lieber direkt die Pause machen, sodass ich doch meine Periode bekommen würde. Gesagt, getan. Doch nach nur einem Tag war ich nicht mehr ich selbst. Ich hatte eine meiner ersten großen Angst-Erfahrungen, habe nur noch geheult und eine Woche damit verbracht, mich zu fragen, warum ich plötzlich so fucking traurig war. Ich dachte wirklich, ich hätte Depressionen.
Als ich dann nach einer Woche die Pille wieder wie gewohnt eingenommen habe, veränderte sich auch meine Stimmung um 180 Grad. Und damit auch meine naive Einstellung bezüglich dem Schalten am Kontrollzentrum. Ich habe meine Tage nie mehr verschoben.
Wie auf Drogen?
Irgendwann habe ich die ersten Youtube-Videos zum Thema Pille-Absetzen gesehen. Junge Frauen, die mehrere Jahre die Pille genommen haben, berichteten über Stimmungsschwankungen, Depressionen, verlorene Libido und darüber, „sich nicht wie sie selbst zu fühlen“.
Ich hatte zwar keinen Libido-Verlust, aber ungefähr zeitgleich zum Pille nehmen habe ich das erste Mal in meinem Leben Bekanntschaft mit psychischen Problemen gemacht. Das kann auch Zufall sein. Anfang Zwanzig ist für die wenigsten eine einfache Zeit. Trotzdem habe ich beobachtet, dass ich die besonders „großen“ Krisen, wie die oben beschriebene, meist zeitgleich zu meiner Periode hatte.
Ich versprach mir also, dass die hormonelle Verhütung nur eine Übergangslösung für mich sein würde. „Nur noch dieses eine Mal“ dachte ich mir jedes Mal, wenn ich mir ein neues Rezept holte. Weitere drei Jahre lang. Denn was sollte danach kommen?
Der turning point kam vor eineinhalb Jahren, als ich in einem sehr tiefen Stimmungsloch war – mal wieder während meiner Abbruchblutungen. Ich fand die Vorstellung schlimm, dass ich sozusagen dauerhaft „auf Hormonen“ bin und diese depressiven Phasen mir dann auch noch künstlich herbeiführe. Ich fasste also den Entschluss, die Pille wirklich und so schnell wie möglich abzusetzen.
Aber was sollte die Alternative werden?
Meine Gynäkologin, die mir auch schon über Jahre hinweg die Pille verschrieben hatte, war bei der Beratung, genauso wie schon bei der Pille, nicht sonderlich motiviert. Es wäre ja schließlich meine persönliche Entscheidung, was ich jetzt machen würde. Klar! Aber trotzdem war ich mit all den medizinischen Hintergründen schlicht überfordert. Was macht die Pille genau in meinem Körper? Und was passiert, wenn ich zum Beispiel die Spirale habe?
Die Fragen habe ich mir dann mehr oder minder über YouTube-Videos und Online-Artikel beantwortet.
Achtung: Medizinischer Exkurs in leicht verständlicher Sprache.
(Ich bin keine Medizinerin – verzeiht mir also, falls ich doch etwas falsch erkläre und belehrt mich eines besseren)
Wie schon gesagt, greift die Pille in einen eingespielten Prozess ein: den monatlichen Zyklus. Indem sie den einmal im Monat stattfindenden Eisprung verhindert, wird der ganze Prozess sozusagen auf Ausnahmezustand gestellt: Dem Körper wird also die ganze Zeit vorgegaukelt, er wäre schwanger. Rückblickend weiß ich also auch, dass die Stimmungslöcher während der Blutungen rein hormonell gesehen auf jeden Fall Sinn ergeben. Denn nach drei Wochen Einnahme ist die einwöchige Pause eigentlich nur dafür da, dass man eine künstliche Blutung bekommt. Sie gaukelt einen “normalen Zyklus” vor, den man aber ja wegen der Pille und des verhinderten Eisprungs überhaupt nicht hat (kein Eisprung → keine Vorbereitung der Gebärmutter → Keine Monatsblutung). Die Pillen-Pause für die künstliche Blutung bringt aber auch einen Abfall der Hormonkonzentration mit sich – ein Entzug, wenn man so will. Kein Wunder, dass die Stimmung dabei in den Keller geht. (Weitere Infos hier)
Hormonfrei wirken nur das Kondom, das Diaphragma und: die Kupferspirale (bzw. auch Kupferkette). Deshalb hat sie direkt mein Interesse geweckt. Sie sorgt dafür, dass die Schleimhaut des Muttermundes und der Gebärmutter Sperma-unfreundlich ist und schädigt auch die Spermien selbst. Irgendwie durch die Kupfer-Ionen. Aber wie genau das geht, weiß selbst die Wissenschaft noch nicht ganz genau. Sicher ist aber, dass durch das Kupfer eine dauerhafte Entzündungsreaktion im Körper hervorgerufen wird. Außerdem können die Blutungen und auch die Menstruationsschmerzen stärker werden. Auch nicht ideal.
Aber immer noch besser als Hormone – dachte ich.
Mein Entschluss war also gefasst: Pille raus, Spirale rein.
Wie dann das Einsetzen der Spirale verlief und warum ich wahrscheinlich jetzt mehr Stimmungsschwankungen habe als mit der Pille – das lest ihr in Teil 2.

Von Chiara (24): Chiara mag stilles Wasser, aber still ist sie selbst nicht gerade – ganz im Gegenteil. Sie tanzt durch’s Leben und spricht und schreibt über Feminismus, Nachhaltigkeit und mentale Gesundheit. Sie ist Kopf- und Herzmensch zugleich, Ungerechtigkeit macht sie wütend und sie hat eine Schwäche für die Kardashians, gutes Essen und die Menschen, die sie liebt.
Sehr guter Artikel, danke dafür. Genau diese Erfahrungen habe ich auch gemacht, außerdem Heißhunger und brutale Gewichtszunahme. Als ich mal im Supermarkt in Tränen ausgebrochen bin, weil ich dachte, ich schaffe es vor Hunger nicht mehr dort raus, habe ich angefangen, mir Gedanken zu machen. Doch von meinem Gynäkologen kam immer nur: „Das kann nicht sein, Sie nehmen ein niedrig dosiertes Präparat.“ Das war eine schlimme Erfahrung, so zu leiden und nicht ernst genommen zu werden. Ich bin jeden Tag froh, dass ich die Pille danach abgesetzt habe, denn ohne ging es mir fast sofort besser. Liebe Grüße!
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Danke für deinen lieben Kommentar 🙂 schön, dass es dir wieder besser gehst und den Schritt für dich geschafft hast!
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