Der lettische Abgang

Ich mochte Abschiede noch nie, kann selbst die Abschiedssituation als solche nicht leiden. Irgendwie finde ich es immer ein bisschen awkward, wenn ich dann nicht weiß, ob ich eine Person umarmen, ihr die Hand schütteln oder ihr nur aus der Ferne noch mal zuwinken soll. Schon in so einem kleinen alltäglichen Rahmen komme ich nicht gut mit Verabschiedungen klar.


Meine Lieblingsstrategie, um solchen für mich unangenehmen Situationen zu entgehen, war seit jeher der „polnische Abgang“. Vor allem als ich noch jeden Samstag auf Partys in meinem kleinen Heimatdorf zugange war, schlich ich mich regelmäßig aus den Garagen, Kellerräumen und Landwirtschaftshallen, ohne jemandem Bescheid zu geben. Der Weg nach Hause war meistens kurz und sobald ich ihn hinter mich gebracht hatte, bekamen meine Freundinnen per WhatsApp-Nachricht mitgeteilt, dass ich „einfach krass müde war und nach Hause musste, sorry 😬“. Mittlerweile verstehe ich, dass das nicht die höflichste Art ist, sich (nicht) zu verabschieden und dass es abseits von behüteten Dorfrunden auch große Sorgen bei den übrigen Partygästen auslösen kann. Auch wenn ich mir den „polnischen Abgang“ (der in Polen übrigens den Engländern zugeschoben wird) abgewöhnt habe, ist er grundsätzlich immer noch meine liebste Abschiedsmethode.

Einfach mal den Lettischen machen

Aber jetzt geht es für mich für ein Erasmussemester nach Riga. „Polnischer Abgang“ ist dieses Mal also nicht drin und von einem lettischen habe ich bisher noch nie gehört. Dass die Verabschiedung jetzt für ein halbes Jahr ist, macht für mich alles noch undurchschaubarer. Klar, einerseits ist ein halbes Jahr schon eine lange Zeit. Vor allem, wenn ich an Personen denke, die ich sonst eigentlich wöchentlich oder sogar täglich sehe. Es wird in der Heimat so viel passieren und ich werde nicht dabei sein, es vielleicht teilweise nicht mal mitbekommen. Sicher wird sich auch einiges verändern – wäre ja schlimm, wenn nicht.

Aber gleichzeitig ist es eben auch nur ein halbes Jahr. Und in Lettland gibt es viel schnelleres Internet als in Deutschland. Ich kann alle meine Freund:innen und meine Familie also mit Updates nur so bombardieren, wenn ich das will. Wir können telefonieren, skypen, Sprachnachrichten versenden, chatten, von mir aus auch Briefe, Postkarten oder Rauchzeichen hin- und herschicken. Alles kein Problem. Ich bin ja nicht aus der Welt.

Wenn ich so darüber nachdenke, fühlt es sich unpassend an, dass meine Mutter schon zwei Wochen, bevor ich abreise, von „Wehmut“ spricht und meine ganze Familie für einen Abschiedstag zusammentrommelt, dass sich meine Kölner Leute schon vor Monaten meinen letzten Abend in Köln freigehalten haben, um mich noch mal zu sehen und dass meine Kindergartenfreundin ein paar alte Freund:innen zu einer kleinen Abschiedsüberraschungsfeier eingeladen hat. Versteht mich nicht falsch – ich habe mich riesig darüber gefreut und bin glücklich, dass mich sowohl Köln als auch meine Heimat mit so wunderschönen Erinnerungen entlässt und es Menschen gibt, denen es nicht egal ist, dass sie mich längere Zeit nicht sehen werden. Dann empfinde ich auch etwas Wehmut und der lettische Abgang fällt mir noch schwerer. 

Strategischer Abschiedsaufschub

Trotzdem fand ich die Verabschiedung von meinem Mitbewohner, der tatsächlich auch aus unserer WG auszieht, am besten. Einige Abende vor meinem letzten Tag in Köln gab es noch ein paar Gläser Wein auf unserem Balkon und bevor wir dann in eine Bar weiterzogen, haben wir uns geschworen, dass wir uns, sobald ich wieder in Köln bin, wiedersehen. Wir haben uns gegenseitig noch mal versichert, wie schön wir die Zeit miteinander fanden, was für tolle Mitbewohnende wir sind und wie froh wir sind, uns zu haben. Aber das Gespräch konnten wir dann mit einem „Ein paar Tage haben wir ja noch“ beenden. Abschiedsaufschub – immer eine gute Strategie. 👀

Als ich dann ein paar Tage später tatsächlich frühmorgens die Kartons aus meinem Zimmer trug und mich von der Wohnung verabschiedete, schlief mein Mitbewohner noch. Anstandsmäßig klopfte ich noch an seiner Zimmertür, vielleicht leiser, als ich es normalerweise getan hätte. Schließlich war schon alles gesagt und ich konnte diesem Abschied mit einem Zettel auf dem Küchentisch entgehen.

Aber um noch kurz einen Kalenderspruch auszupacken: „Verabschieden bedeutet auch, sich auf die nächste Begegnung zu freuen.“ In diesem Sinne freue ich mich jetzt schon darauf, in einem halben Jahr wieder all die wichtigen Personen hier in meine Arme schließen zu können. Wobei… Davor wird es sicher noch Abschiede von meinen neuen Lettland-Leuten geben müssen. Jetzt schon keine Lust darauf… 


Von Lena (23): Lena ist kein nachtragender Mensch. Aber über die Unkreativität ihrer Eltern bei der Namensgebung ist sie immer noch nicht ganz hinweg. Als hätte unsere Generation nicht schon genug damit zu tun, sich ständig abzuheben, muss Lena sich auch noch im Meer der Lenas behaupten. Sie fasziniert die Menschen um sich herum als Zuhörerin und Freundin. Als wissbegieriges Kind und seriöse WDRlerin. Als aufmerksame Beobachterin und politisch interessierte Journalistin.

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